Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Jetzt nicht, danke. - Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass die rechtliche Situation bezüglich der Beiträge unübersichtlich, uneinheitlich und verfahren ist - nicht zuletzt auch durch verschiedene, letztlich untaugliche Versuche der Rechtsetzung durch diesen Landtag.

Niemand wird bestreiten, dass die unterschiedliche Rechtsprechung, die von verschiedenen Gerichten zu verschiedenen Zeiten in ähnlich gelagerten Fällen erfolgt ist, unbefriedigend ist und das Gerechtigkeitsempfinden stört. Man kann aber auch nicht bestreiten, dass die neuerlichen Heilungsversuche, wie der von der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion vorgeschlagene Griff in die Landeskasse, neue Ungerechtigkeiten erzeugen und neue Rechtsrisiken aufwerfen würden. Das hat die Anhörung im Innenausschuss im Februar eindeutig ergeben.

Schon der Begriff „Altanschließer“ ist irreführend, geht es ja gar nicht um den Anschluss an die Abwasserentsorgung, sondern um die Errichtung oder Verbesserung von Entsorgungsanlagen - das kann auch nach dem Anschluss erfolgt sein. Dass die Beiträge für die Betroffenen manchmal eine unerträgliche Belastung darstellen, wie der Antrag ausführt, steht hier gar nicht zur Debatte: Schließlich will der Antrag ja für die Zukunft weder die Beiträge als solche noch ihre Höhe infrage stellen.

Auch der Fakt, dass rechtswidrige Beiträge angeblich noch heute vollstreckt werden, entzieht sich der Beschlussfassung des Landtags. Denn die Rechtslage ist hier klar, die Durchsetzung ist Sache der Gerichte, einer rechtlichen Klarstellung bedarf es nicht. Im Kern ist die sogenannte Altanschließer-Problematik ein juristisches Problem: Beiträge zu Abwasseranlagen waren bereits verjährt, als die Abwasserverbände die Beitragsbescheide erstellt haben. Beitragspflichtige haben zum Teil gutgläubig bezahlt, zum Teil wurden diese Bescheide damals sogar gerichtlich bestätigt. Der Landtag hat versucht, die Verjährung per Gesetz zu verhindern. Das ist der Punkt, der später vom Oberlandesgericht als „legislatives Unrecht“ bezeichnet wurde. Fakt ist: Es wurden Bescheide erlassen, die sich auf verjährte Ansprüche bezogen. Fakt ist aber auch, dass die fraglichen Bescheide bestandskräftig geworden sind. Damit gibt es keine Pflicht mehr zur Rückzahlung der erhobenen Beiträge.

Unser Rechtssystem kennt verschiedene Mechanismen, um - wie man so schön sagt - Rechtsfrieden herzustellen. Sowohl Verjährung als auch die Bestandskraft von Bescheiden gehören in dieselbe Kategorie. Man kann sich schlecht auf Verjährung berufen, das Konzept der Bestandskraft aber ablehnen. Durch Verjährung darf ich mich als Schuldner nach einer gewissen Zeit sicher fühlen, dass niemand mehr alte Forderungen gegen mich erhebt. Ich kann dann zum Beispiel Belege vernichten. Durch die Bestandskraft von Bescheiden stehen Forderungen der Behörden gegen Bürgerinnen und Bürger endgültig fest. Selbst spätere Änderungen der Rechtsprechung hebeln die Bestandskraft nicht aus. Gäbe es die Bestandskraft von Bescheiden nicht, müsste eine Behörde bei jedem Urteil sämtliche - und ich meine wirklich sämtliche! - bisher ergangenen Bescheide dahingehend prüfen, ob sie an die neue Rechtsprechung anzupassen sind. Das ist offensichtlich unmöglich.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ich möchte gerne abschließen. - Natürlich sagen Sie jetzt, die Bescheide können ja trotzdem in bestimmten Fällen aufgehoben werden, zum Beispiel, wenn wir dies hier beschließen. Da stimme ich auch grundsätzlich zu, bestreite aber, dass wir vorliegend einen Sonderfall haben, der diese ungewöhnliche Maßnahme rechtfertigt. Ich sehe auch nicht, dass der soziale Frieden dadurch gestört ist, dass Anlieger Beiträge für Anlagen entrichten müssen, die sie ja tatsächlich nutzen - selbst, wenn andere - wegen der verworrenen Rechtslage - diese Beiträge nicht zahlen müssen. Das wäre genauso, als würden Sie ein Ticket für den Bus nicht bezahlen wollen, weil nebenan einer kein Ticket gezogen hat. Manche argumentieren ja so, aber ich finde das nicht stichhaltig. Denn am Ende kann der nicht bezahlte Bus für keinen von beiden fahren.

Ich denke, dass trotz der verkorksten rechtlichen Situation die grundsätzliche Gerechtigkeit immer noch gegeben und der soziale Frieden nicht wesentlich verletzt ist. Der Antrag der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion führt nicht nur zu immensen Kosten für die Landeskasse, sondern erzeugt immer wieder neue Ungerechtigkeiten und hilft daher nicht, die Gesamtsituation zu verbessern. Wie werden ihn daher ablehnen. - Danke schön.

Herr Abgeordneter, würden Sie noch eine Frage zulassen? Herr Abgeordneter Stefke hat gedrückt, als Sie noch sprachen. - Herr Stefke, bitte.

Vielen Dank, Herr Klemp, dass Sie die Zwischenfrage noch zulassen. Was spricht eigentlich dagegen, dass man sich als Fraktion in diesem Landtag für eine alte Oma einsetzt? Was haben Sie dagegen?

Herr Abgeordneter, bitte.

Vielen Dank für die Nachfrage. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass man sich für die alte Oma einsetzt. Es spricht aber etwas dagegen, hier Stimmung zu machen, indem man nur den Eindruck erweckt, man würde sich für die alte Oma einsetzen.

(Zuruf)

- Ja, so ist es! Es geht ja darum, dass die Anlagen, die erstellt worden sind, auch genutzt wurden und dafür Beiträge gezahlt werden. Sie stellen ja auch nicht in Abrede, dass, wenn in Zukunft Anlagen errichtet werden, auch alte Omas dafür ihre Beiträge zahlen müssen. Insofern sehe ich überhaupt nicht, wo der Unterschied liegt. Das ist reine Stimmungsmache von Ihrer Seite. - Danke.

Es wurde eine Kurzintervention angezeigt. Herr von Lützow, bitte.

Herr Klemp, Sie haben gerade, wenn ich das richtig verstanden habe, ausgedrückt, dass das alles seine Richtigkeit habe, auch wenn rechtswidrige Bescheide nach wie vor erlassen werden und Bestand haben. Denn nach wie vor ist die Rechtsprechung so, dass das rechtswidrig war, und Rechtswidrigkeit kann vor dem Gesetz keinen Bestand haben. Das heißt, die Beiträge müssen zurückgezahlt werden. Wenn Sie sich aber hinstellen und sagen, das ist alles rechtens, das ist alles in Ordnung, das ist alles toll, dann machen wir hier nur noch rechtswidrige Sachen.

Letzte Woche saßen drei Staatsrechtler im Hauptausschuss und man kam zu dem Ergebnis, dass eine rechtswidrige Verordnung erlassen wurde. Machen wir denn hier im Landtag nur solche Sachen oder wollen wir mal dahin kommen, dass wir endlich mal vernünftige Sachen machen, die rechtskräftig Bestand haben?

(Zuruf)

- Herr Domres, Sie sind nicht gefragt, Sie saßen schon lange hier. Sie waren auch mit dabei, als so etwas beschlossen worden ist.

Wollen wir denn endlich mal dahinkommen, vernünftige Gesetze zu verabschieden und vernünftige Sachen zu behandeln, sodass die Bürger auch Rechtssicherheit haben? Darum geht es mir nämlich: um die Rechtssicherheit. - Danke.

Herr Klemp, möchten Sie erwidern?

Sehr geehrter Herr Freiherr von Lützow, ich habe, glaube ich, ganz deutlich gesagt, dass ich nicht der Meinung bin, dass hier alles toll gelaufen ist. Wir haben dieses Thema schon in verschiedenen Landtagsdebatten erörtert, und wir haben auch heute wieder zum Ausdruck gebracht: Es ist nicht alles richtig gelaufen, das ist ganz klar. Ich habe in meiner Rede auch ausgeführt, dass für mich Fakt ist, dass Bescheide rechtswidrig ergangen sind. Dennoch haben diese Bescheide - Sie haben selbst auf unser Rechtssystem verwiesen - Bestandskraft erlangt. Auch der Antragsteller hier hat gesagt, dass es keine Rechtspflicht gebe, die Beiträge zu erstatten. Insofern ist unser Rechtssystem an dieser Stelle konsistent. Es bietet verschiedene Mechanismen zur Herstellung des Rechtsfriedens an. Dazu gehört auch - und das kann im Einzelfall schwer zu ertragen sein, da gebe ich Ihnen gerne Recht -, dass Bescheide, die aufgrund später ergangener abweichender Rechtsprechung rechtswidrig sind, dennoch weiterhin Bestand haben. Das ist so, und Sie können die Gesetze ändern wollen, um die Bestandskraft auszuhebeln - aber ich warne davor. Denn gäbe es die Bestandskraft nicht, müssten die Behörden nach einem Urteil, das viele Fälle betrifft, alle zurückliegenden Bescheide daraufhin überprüfen, ob sich aus dem Urteil etwas ergibt, das diese Bescheide rechtsungültig machen würde - dies hatte ich versucht, in meiner Rede zu erläutern. Das ist eine Arbeit, die gar nicht zu leisten ist. Deshalb, meine ich, kennt unser Rechtssystem die Bestandskraft. Denn dann gelten

die Bescheide einfach weiter. Das heißt noch lange nicht, dass alles toll ist. Es ist an dieser Stelle überhaupt nicht alles toll. Wir haben Ungerechtigkeiten im bestehenden System und wir hätten neue Ungerechtigkeiten, wenn der Antrag, den die

BVB / FREIE WÄHLER Fraktion eingebracht hat, durchkommt. Aber ich meine, wir sollten als Landtag nicht neue Ungerechtigkeiten draufsetzen. - Vielen Dank.

Vielen Dank. - Wir fahren in der Rednerliste fort. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Stübgen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Antrag der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion vom 11. November 2019 sollen Beitragsrückzahlungen, für die keine rechtliche Verpflichtung besteht, aus Landesmitteln finanziert werden. Die gleiche Zielrichtung hat der von derselben Fraktion gestellte Antrag vom 30. April 2020, der eine schrittweise Rückzahlung der auf rechtswidriger Basis eingezogenen Beiträge vorsieht. Dabei geht es um Beiträge, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 nicht mehr hätten erhoben werden dürfen.

Eine Verpflichtung zur Rückzahlung besteht bekanntermaßen nur für Beiträge, die auf noch nicht bestandskräftige und vom Bundesverfassungsgerichtsbeschluss betroffene Bescheide gezahlt wurden. Das mag für den einen oder anderen ärgerlich sein, und das mag bei dem einen oder anderen Unverständnis hervorrufen. Aber ich beziehe mich ausdrücklich auf die Ausführungen von Herrn Klemp dazu, warum es diese Regel gibt, und dass die Regel die Betroffenen im Einzelfall natürlich nicht zufriedenstellt. Das kann ich auch verstehen.

(Zuruf)

- Auf Ihre 100 000 Euro kommen wir noch zu sprechen. - Über eine mögliche freiwillige Rückzahlung - und das ist in diesem Landtag bereits in der letzten und vorletzten Legislaturperiode xmal diskutiert worden - entscheiden die kommunalen Aufgabenträger. Es gab auch Förderprogramme dafür, dass die kommunalen Träger in diesem Bereich aktiv sein können. Nach unserer Kenntnis im Ministerium des Innern und für Kommunales sind diese Entscheidungen der Aufgabenträger vor Ort weitgehend getroffen worden. Cottbus wurde erwähnt, das einen eigenen Weg gegangen ist; andere Verbände sind andere Wege gegangen. Nach unserer Einschätzung und Kenntnis waren die gewählten Wege jeweils weitgehend rechtssicher. Es gilt weiterhin: Die Aufgabenträger - wir haben kommunale Selbstverwaltung - setzen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung eigenverantwortlich um.

Meine sehr verehrten Damen und Herren der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion, Sie sehen das Land gleichwohl in der Verantwortung. Auf diese Argumentation, die Sie immer wieder vorbringen, so auch heute, möchte ich in zwei Punkten eingehen.

Erstens. Sie stützen sich dabei auf ein Urteil unseres Oberlandesgerichts vom 17. April 2018. In der Tat, Herr Kollege Vida - Sie haben es heute wieder vorgetragen , ist dort die Rede von legislativem Unrecht. Folgendes haben Sie aber nie ergänzt - und als Jurist müssten Sie es besser wissen als jeder andere, der das auch versteht: Dieses Urteil des Oberlandesgerichts

wurde ein knappes Jahr später vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Soll ich es noch einmal erklären? Ein Urteil, das von einer höheren Instanz aufgehoben wurde, ist weg, es gilt nicht mehr, auch nicht dessen Begründung. Also hören Sie doch auf, einen Grund dafür zu finden, dass der Landtag bzw. die Landesregierung verantwortlich sei, weil angeblich eine Gerichtsentscheidung gesagt habe, dieser Landtag hier habe Fehler gemacht. Nein! Ein Gericht hatte das zwar in einem Urteil festgestellt, aber die höhere Instanz hat das Urteil aufgehoben. Herr Vida, wenn Sie das weiterhin behaupten sollten, nachdem ich Ihnen das jetzt noch einmal erklärt habe, dann ist das wahrheitswidrige populistische Propaganda!

Zweitens. Zur Ihrer Behauptung wegen angeblich fehlerhafter Rechtsetzung möchte ich klarstellen: Von den vielen Gerichtsurteilen, die es zu diesem Komplex nun schon gibt, ist keine einzige Norm unseres Kommunalabgabengesetzes für verfassungswidrig erklärt worden. Also versuchen Sie nicht ständig, das Gegenteil zu suggerieren und sogar zu behaupten - das ist falsch! Ganz im Gegenteil: Mit dem aktuellen Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli wurde die Verjährungsobergrenze für die Erhebung von Beiträgen ausdrücklich bestätigt. Dass Sie das zum Zeitpunkt der Stellung Ihres Antrags noch nicht wussten, verstehe ich ja. Ich hätte aber erwartet, dass Sie sich für die heutige Debatte hinreichend mit dem Ergebnis des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts befasst haben würden - ich komme später noch darauf zurück.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal klarstellen: Nach der Wiedervereinigung ist erheblich in die Wasserver- und Abwasserentsorgung investiert worden, und das war auch absolut notwendig. Damals waren kommunale Kläranlagen ein Fremdwort. Alle, zumindest diejenigen, die damals im Osten gelebt haben, wissen das. Es ging immer nur um eine Refinanzierung dieser Nachwendeinvestitionen. Übrigens, Herr von Lützow, auch heute haben Sie wieder diese Mär bemüht, die die Leute glauben sollen. Ich will es hier deutlich sagen: Niemals war im kommunalen Abgabengesetz festgelegt, dass vor der Wende getätigte Investitionen in Abwasserkanäle etc. pauschal oder überhaupt auf irgendeine Weise refinanziert werden können - niemals! Falls Sie das immer noch nicht kapiert haben, nachdem ich Ihnen das erklärt habe … Hören Sie endlich auf, den Leuten etwas vorzumachen! Es ist nicht richtig. Wenn Sie das weiterhin behaupten, lügen Sie vorsätzlich!

(Zuruf)

- Dass das bei Ihnen nichts Besonderes ist, überrascht mich nicht. - An den Kosten der Nachwendeinvestitionen sind - und das ist auch entscheidend - sowohl Alt- als auch Neuanschließer zu beteiligen, da sie in gleichem Maße davon profitieren. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr hingewiesen, als es drei Verfassungsbeschwerden von Altanschließern aus Mecklenburg-Vorpommern nicht zur Entscheidung angenommen hat. In seinem Nichtannahmebeschluss - Herr Vida, es ist richtig, dass es sich nicht um ein Urteil handelt, sondern um einen Beschluss, der keine unmittelbare judikative Wirkung entfaltet - vom 1. Juli hat das Gericht ausgeführt, warum es diese drei Verfassungsbeschwerden nicht angenommen hat. Diesen sollten Sie sich genau anschauen. In den Ausführungen bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass seine Entscheidung aus dem Jahr 2015 auf der Basis der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung getroffen worden war. Eine eigene Auslegung hat das Bundesverfassungsgericht somit nicht vorgenommen. Es ist infolge der Nichtannahmebeschlüsse auch nicht unbedingt sicher, dass das Bundeverfassungsgericht das Thema noch einmal aufgreifen wird; das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass seine Entscheidung aus dem Jahr 2015 gilt.

Das oberste deutsche Gericht hat dabei klargestellt, dass die Auslegung der alten Fassung von § 8 Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetz durch den Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht Brandenburg nicht willkürlich ist. Nach dieser Auslegung war es bis zum 31.12.2015 rechtmäßig, Anschlussbeiträge zu erheben. Schadensersatzansprüche kommen also mangels Rechtswidrigkeit der Beitragsbescheide weder aus Amts- noch aus Staatshaftungsgründen in Betracht. Im Ergebnis haben wir damit in der Tat eine unbefriedigende Situation, und deswegen verstehe ich auch die Verärgerung in weiten Teilen der Bevölkerung: Die Frage der Rechtmäßigkeit von Beitragsbescheiden wird nämlich bis heute bei derselben Fallkonstellation von Verwaltungsgerichten anders beurteilt als von Zivilgerichten. Es handelt sich um unterschiedliche Auffassungen über die zutreffende Festlegung des Verjährungszeitpunkts. Das wissen Sie alles, und es ist im Ergebnis alles andere als zufriedenstellend und auch nicht nachvollziehbar. Es dient auch nicht dem Rechtsfrieden. Diese Kritik bezieht sich aber ausschließlich auf die Judikative. Sie kann weder von der Legislative, also diesen Landtag, noch der Exekutive korrigiert werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli dieses Jahres hat mein Haus für ein ausführliches Rundschreiben mit Erläuterung der Rechtslage zum Anlass genommen. Das Schreiben ist auf den Webseiten meines Hauses abrufbar. Herr von Lützow, es ist somit nicht nur unzutreffend, dass wir den Kommunen keine Handreichung gegeben hätten - im Gegenteil: Wir haben den kommunalen Trägern auf Grundlage der Nichtannahmebeschlüsse und der verschiedensten weiteren Urteile in diesem Bereich deutlich erklärt, was nach unserer Auffassung der aktuelle rechtliche Stand ist.

Der Innenausschuss hat empfohlen, den Antrag vom November 2019 abzulehnen. Auch darauf möchte ich noch einmal hinweisen: Maßgeglichen Anteil an der Empfehlung hatten die Hinweise der Experten in der Anhörung am 12. Februar. Die Fachleute hatten mehrheitlich und nachvollziehbar Bedenken gegen den Antrag geäußert. So würden nach Auffassung dieser Fachleute durch eine mögliche Entlastung - die nach Ihrem Antrag erfolgen würde - für eine gewisse Gruppe von Grundstückseigentümern neue Ungerechtigkeiten geschaffen werden, verbunden mit neuen rechtlichen Risiken. Damit wäre alles andere als Rechtsfrieden geschaffen, nämlich ein weiteres Hin und Her mit weiteren Gerichtsurteilen, die zwar möglicherweise dem einen oder anderen nutzen, letztlich aber nicht zur Lösung beitragen würden. Ich empfehle die Ablehnung des Antrags. - Danke schön.

Vielen Dank. - Wir kommen jetzt zum Redebeitrag der Antragsteller. Herr Vida spricht noch einmal für die BVB / FREIE WÄHLER Fraktion.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Es ist immer bemerkenswert, wenn der Innenminister so ganz ohne Vorbereitung in die Debatte geschickt wird. Das rächt sich manchmal, wie ich zeigen werde. Zunächst einmal, Herr Minister: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil nicht „kassiert“, er hat es vielmehr aufgehoben und zur näheren Beratung zurückverwiesen. Selbstverständlich sind die Ausführungen, die ich hier zitiert habe, nämlich „legislatives Unrecht“, nicht im Urteil enthalten. Die Ausführungen waren Teil der Begründung in der mündlichen Verhandlung. Selbstverständlich erwächst so etwas nicht in Rechtskraft, ge

nauso wenig wie die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juli 2020, was die materiell-rechtliche Bindungswirkung anbelangt. Insofern können Sie Ihre diesbezüglichen Belehrungen knicken; denn dass die Aussage im Urteil enthalten war, wurde gar nicht behauptet. Die Aussage wurde vielmehr in der eben genannten mündlichen Verhandlung im März getätigt, und das Urteil erging dann im April. Sie hätten somit schon am Zeitstempel erkennen können, dass es sich um eine Äußerung der Richterin in der mündlichen Verhandlung handelte. So viel zur Präzision.

Herr Noack hatte mich aufgefordert, Belege dafür zu bringen, dass Behörden oder die Regierung es darauf angelegt gehabt hätten, die Einlegung von Widersprüchen zu verhindern. Am 23. September 2015, genau heute vor fünf Jahren, haben wir hier einen Antrag auf Rückerstattung der Altanschließerbeiträge gestellt, Drucksache 6/2548, somit anderthalb Monate, bevor im November 2015 in Karlsruhe die Rechtsprechung erging und zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch eine Chance gehabt hätte, zu reagieren. In dieser Situation führte der Innenminister des Landes Brandenburg, Herr Schröter von der SPD, aus: Diesen Antrag brauchten wir nicht. Alles andere würde eine endlose Kette von Rechtsstreitigkeiten auslösen. Es würde zu einer Arbeitsbeschaffung für Rechtsanwälte, aber auch zu einer Flut von gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen, die wir gerade jetzt nicht gebrauchen können. - Von der Regierungsbank wurde also doziert: Wir brauchen keine rechtliche Auseinandersetzung; lassen Sie das mit dem Antrag!

Anderthalb Monate später wurde Ihnen bescheinigt, dass rechtswidrig gehandelt wurde. Wie sehr es Ihnen um Rechtsstaatlichkeit ging, sah man, als der Beschluss erging. Da hat noch im März 2016 Herr Schröter von der Regierungsbank doziert, es sei eine Fehlentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen. - So viel dazu, wie man respektvoll mit solchen Entscheidungen umgeht.

Trotz der Winkelzüge des Innenministers hat die CDU ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Ich darf aus der „Strausberger Wasser Zeitung“ des Abwasserverbandes Strausberg-Erkner zitieren, und zwar den damaligen Bürgermeister der Gemeinde Rüdersdorf, André Schaller:

„Es ist ein echtes Ärgernis, dass das Land Brandenburg die Problematik um die Altanschließer auf Verbände wie unseren Wasserverband Strausberg-Erkner abwälzt […]. Wenn über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung solche finanziellen Forderungen erhoben werden können, dann haben wir ein wirkliches Problem mit der Verjährung. Aus meiner Sicht sind Verjährungsfristen dazu da, Vertrauensschutz für die Menschen zu schaffen und damit einen gewissen Rechtsfrieden herbeizuführen. Die vom Land Brandenburg in diesem Fall gewählte Fristenregelung halte ich für nicht richtig.“

Jetzt kann man sagen, er war damals nicht dabei. Ich habe vorhin jedoch zwei Anträge der CDU aus der letzten Wahlperiode zitiert - es gab noch weitere -, und zwar einen vom 9. Mai 2017, Drucksache 6/6571, „Rechtsfrieden für Altanschließer in Brandenburg“ - recht hat die CDU.

(Zurufe)

Fürs Protokoll: Der Fraktionsvorsitzende der CDU sagt, man habe jetzt Rechtsfrieden. Das wird sich gut eignen für die öffentliche Diskussion.

Ein anderer Antrag stammt vom Dezember 2017, Drucksache 6/7724, „Rechtsfrieden für ‚Altanschließer‘ endlich herstellen“. Insbesondere soll Rechtsfrieden dadurch geschaffen werden, so die CDU, dass allen Betroffenen die aufgrund verfassungswidriger Bescheide gezahlten Beiträge erstattet werden können. Bevor jetzt der Populismusvorwurf kommt: Alle vier, fünf Anträge von Ihnen wurden damals selbstverständlich ohne Deckungsvorschlag gestellt - das war dann das Rufen im Walde.

„Endlich Rechtsfrieden!“, rief die CDU vor zwei Jahren. Nun, wie sieht es jetzt nach fünf Jahren aus? - Ohrenbetäubendes Schweigen seitens der CDU. Warum? Weil Rechtsfrieden entstanden sei, wie wir gerade in einem rüden Zwischenruf gehört haben? Oder etwa deswegen, weil die CDU den Resonanzboden der Beliebigkeit und die Drehtür des Positions-Limbos erreicht hat? Haben Gerechtigkeit und Rechtsfrieden bei Ihnen nur ein Haltbarkeitsdatum bis zum Ende der Wahlperiode?, möchte ich Sie fragen.