Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend solidarische Bürgerversicherung – für ein zukunftsfähiges und gerechteres Gesundheitswesen – Drucks. 16/489 –
Zu Wort gemeldet hat sich Frau Schulz-Asche für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unseren Entschließungsantrag haben wir bereits vor der Sommerpause in das Haus eingebracht. Er hat den Titel: Ja zur Reform des Gesundheitswesens – auf dem Weg zur Bürgerversicherung. – Es hat uns nicht gewundert, dass Überschrift und Antrag heute noch die gleiche Aktualität haben.
Der so genannte Gesundheitskonsens dieses Sommers hat gezeigt, dass erstens große Koalitionen von SPD und CDU nicht geeignet sind, langfristige, nachhaltige Reformvorhaben umzusetzen.
Er hat zweitens gezeigt, dass der Druck der Verbände und Lobbys nach wie vor massiv hemmend auf die Modernisierung unseres Gesundheitswesens einwirkt. Besonders absurd bei dieser Gesundheitsdiskussion ist gerade, dass theoretisch alle Fachleute, die es in diesem Bereich gibt, weitgehende Übereinstimmung in vielen Punkten haben, auch zwischen den einzelnen Parteien. Auch in der Gesellschaft gibt es einen breiten Konsens.
Es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien, daraus will ich gar keinen Hehl machen.Aber lassen Sie mich in der inhaltlichen Diskussion heute darauf verweisen, welche Gemeinsamkeiten wir haben.
Die gesetzliche Krankenversicherung gehört zu den unverzichtbaren Institutionen der sozialen Sicherung. Sie stellt eine qualitativ hochwertige und humane medizinische Versorgung zur Verfügung, die allen Versicherten – unabhängig vom Alter oder der individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit – zugute kommt.
Hierbei handelt es sich nicht nur um Punkt 1 unseres Antrages, sondern auch um ein wörtliches Zitat, nämlich um den ersten Satz aus dem ersten Zwischenbericht der CDU-Hartz-Kommission.
Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt permanent und wird auch in Zukunft weiter ansteigen. Dies hat seinen Grund in der wachsenden Wertschätzung der „Gesundheit“.Vor dem Hintergrund der Erfolge in Medizin und Medizintechnik eröffnen sich neue Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie, die mit steigenden Erwartungen und Ansprüchen einhergehen. Ursächlich ist aber auch der demographische Wandel,der einen wachsenden Bedarf an medizinischen und pflegerischen Leistungen bei älteren Menschen verursacht.
Hierbei handelt es sich nicht nur um den zweiten Absatz unseres Antrages, sondern es handelt sich ebenfalls um den zweiten Punkt des Antrags der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz.
Im Mittelpunkt aller Reformen unseres Gesundheitswesens müssen die Patientinnen und Patienten stehen. Jeder muss Zugang zu einer medizinischen Versorgung haben – unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen und Gesundheitszustand. Die Patienten müssen künftig besser über Qualität und Kosten ihrer Behandlung informiert werden; die Versicherten brauchen mehr Wahlfreiheit. Das starre Vertragssystem zwischen Krankenkasse und Leistungserbringern muss aufgelockert werden, damit der Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit eine Chance bekommt. Der immense Verwaltungsaufwand in der Krankenversicherung muss dringend reduziert werden. Und wir brauchen eine Kultur der Prävention.
Sie haben sich gerade aufgeregt. Es handelt sich aber nicht nur um Punkt 3 unseres Antrags, sondern es handelt sich um die Eckpunkte zur Gesundheitspolitik der CDU Hessen vom 25. Januar dieses Jahres.
Das war die hessische CDU – das sage ich für die, denen es noch nicht ganz klar war.Vor allem wegen des Wettbewerbs staunen Sie sicher.
Für die Bürgerinnen und Bürger stellt sich dann aber noch die Frage, wieso diese Beschlüsse, die im Sommer in Berlin getroffen wurden, um einen produktiven Wettbe
werb zwischen den Leistungsanbietern und Kassen herzustellen, nicht verwirklicht wurden. So stehen wir jetzt, genau wie vor der Sommerpause, immer noch vor der Frage:Wie werden wir in zwei oder drei Jahren mit der Finanzierung des Gesundheitssystems umgehen? Nichts ist in diesem Bereich gelöst worden. Denn allen ist klar, dass die diesjährige Lösung von Leistungsausgliederung und Zuzahlung nicht beliebig wiederholbar ist, wenn wir nicht die gesetzliche Krankenversicherung grundsätzlich infrage stellen wollen – es sei denn, man möchte wie die FDP überhaupt keine solidarische Finanzierung mehr. Aber das ist auch der einzige Satz, den ich in diesem Zusammenhang zur FDP sagen will.
Die wesentliche Reformfrage, vor der wir heute stehen und die noch nicht beantwortet wurde, ist doch nicht, wie wir mehr Geld in ein ineffektives System stecken oder wie wir die Beiträge für ein ineffektives System senken. Die zentrale Reformfrage ist doch: Wie schaffen wir ein modernes, qualitätsorientiertes und gerechtes Gesundheitswesen auf solider, gerechter und nachhaltiger Finanzbasis?
Dazu gehören unter Umständen – deswegen bin ich mit dem Antrag der SPD nicht sehr glücklich – auch Mehrausgaben, nämlich wenn wir darüber sprechen, welche Maßnahmen notwendig sind, um mehr für die Prävention und die Gesundheitsförderung zu tun. Wir können also nicht einfach nur verkürzt über Einspareffekte reden, die sicher durch Synergieeffekte und mehr Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern zu erbringen sein werden. Wir müssen darüber reden, wie unser Gesundheitswesen tatsächlich aussehen soll, wie wir alle davon profitieren können sollen und welche Finanzbasis wir dafür brauchen.
Das ist genau der Grund, warum wir GRÜNEN die solidarische Bürgerversicherung für eine wirklich zukunftsweisende Form halten.
Das hat überhaupt nichts mit „Staatssozialismus“ zu tun,weil die Konkurrenz der Kassen genauso möglich sein wird.
(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Die Privaten werden dann weg sein! Der Wettbewerb findet dann leider nicht mehr statt!)
Es wird sogar weniger mit Sozialismus zu tun haben,wenn man denn den ermöglichten Wettbewerb in Hinblick auf Apotheker und niedergelassene Ärzte anschaut.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Zwangskasse ist das!)
Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich hier nicht aufzuregen, weil Ihre Schlagworte hier einfach nicht verfangen. – Wir haben jetzt eine gesetzliche Krankenversicherung mit einer Vielzahl von Kassen. Meiner Meinung nach sind es zu viele Kassen, und es herrscht zu wenig Wettbewerb unter den Kassen. Wir haben eine Vielzahl von Anbietern, die untereinander nicht in Wettbewerb treten können, weil Sie es wiederum verhindert haben.
(Nicola Beer (FDP):Weniger Kassen machen mehr Wettbewerb? – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie können es doch ändern, Sie haben im Bundestag die Mehrheit!)
Herr Irmer, ich weiß, dass Sie bei mir ein besonderes Problem haben. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie mitbekommen, dass ich am Anfang von einer großen Koalition gesprochen habe und davon, warum sich diese große Koalition als nicht reformfähig erwiesen hat.
Lassen Sie mich auf unser Prinzip Bürgerversicherung zurückkommen. Das ist eine Diskussion, in der nach unserer Meinung nicht von heute auf morgen entschieden werden muss, sondern wegen der notwendigen breiten Akzeptanz in der Bevölkerung muss sie sehr sorgfältig geführt werden. Für uns heißt das:Alle Bürgerinnen und Bürger, also auch Beamte, Freiberufler, Selbständige und Politiker werden einbezogen, was vor dem Hintergrund der sich verändernden Erwerbsbiografien der Menschen ohnehin sinnvoll ist. Wegen der geringen Krankheitshäufigkeit dieser zusätzlich einzahlenden Bevölkerungsgruppen kommt es auch nicht zu einem Anstieg der Ausgaben im Verhältnis 1 :1,sodass es vermutlich möglich sein wird,die Beitragssätze zu senken. Ich hatte dazu schon etwas gesagt.
Von dieser Tatsache haben im Übrigen bisher nur die privaten Krankenkassen profitiert. Deswegen schreien sie neben Ihnen, Herr Irmer, natürlich am lautesten gegen diese Bürgerversicherung an.
Uns geht es darum, dass alle Bürger eine freie Wahl der Kasse haben. Das existiert im Moment überhaupt nicht. Versuchen Sie einmal als jemand über 40, bei uns die Kassen frei zu wählen. Dann kommen Sie zu dem Problem, das die PKV Sie nicht mehr aufnehmen will. Die Wechselmöglichkeit ist doch überhaupt nicht vorhanden. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich hier immer so aufregen.
Außerdem geht es uns darum,dass alle Einkommensarten einbezogen werden, um letztendlich wirklich dazu beitragen zu können, den Faktor Arbeit zu entlasten.
Das sind unsere wesentlichen Eckpunkte.Was wir im Moment brauchen, ist eine breite gesellschaftliche Diskussion, die wir angeregt und erfolgreich eingeleitet haben. Uns geht es darum, mit der Bevölkerung und mit den Beteiligten tatsächlich darum zu ringen, wie die Ausgestaltung einer solchen Bürgerversicherung aussehen kann. Dazu sind alle eingeladen. Wir halten überhaupt nichts von Patentrezepten in diesem Bereich, weder von der kochschen Kopfprämie noch von Schnellschüssen wie dem Vorschlag der hessischen SPD. Wir halten den Vorschlag für diskussionswürdig, aber wir sind der Meinung, dass im Wesentlichen im Vordergrund steht, die Vor- und Nachteile der verschiedenen auf dem Tisch liegenden Modelle – es gibt ja eine ganze Reihe – zu diskutieren, sie zu verbessern, gegen Lobbyinteressen zu verteidigen und umsetzbar zu machen. Um diese Basis zu schaffen, haben wir in unserem Antrag unter Punkt 4 alle Äußerungen des ehemaligen CSU-Gesundheitsministers Seehofer aus seinem Interview vom 15.Juli dieses Jahres aufgenommen,in dem er sich für eine Bürgerversicherung aussprach.
Ich komme gleich zum Ende. – Sie sehen, unser Antrag besteht ausschließlich aus Zitaten, die von Leuten der CDU/CSU – darunter auch der CDU Hessen – verfasst wurden. Sie sind nicht aus dem Zusammenhang gerissen. Das ist ganz eindeutig. Damit dürfte sich auch in diesem Hause eine breite Mehrheit für die Zustimmung zu diesem Antrag ergeben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der gesundheitspolitischen Debatte werden typischerweise zwei Ebenen ein und desselben Problems in einer Art und Weise vermischt, dass anschließend nicht mehr Klarheit, sondern mehr Verwirrung um sich greift.
Auf der einen Seite brauchen wir ohne Zweifel und sehr dringend Strukturreformen für mehr Qualität im Gesundheitswesen. Wir brauchen wenigstens den Grad an Qualitätskontrolle, den der Technische Überwachungsverein für Automobile sicherstellt, und das heißt, dass der Staat seine Kontrollaufgabe wahrnehmen muss.Wir brauchen eine bessere Versorgung, wir brauchen den Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgungen, wir brauchen eine höhere Effizienz.