Protokoll der Sitzung vom 10.04.2003

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!)

die Verwaltungsvereinbarung wird unterschrieben. Es werden mehr Ganztagsschulen in dem geforderten Maße und bei bestehender Notwendigkeit entstehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Freund, wenn wir uns auf Sie verlassen würden, dann wären wir wohl verlassen.

Ich möchte mit zwei Legenden aufräumen. Dass in der letzten Legislaturperiode nur eine Ganztagsschule pro Jahr eingerichtet wurde, daran hat einzig und allein Frau Goetsch Schuld. Lassen Sie die lieben SPD-Kollegen einmal außen vor.

Ich habe in den Koalitionsverhandlungen aus gutem Grund dafür plädiert,

(Rolf Kruse CDU: Das interessiert hier aber gar nicht!)

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

nur eine Ganztagsschule statt zwei Ganztagsschulen einzurichten, weil ich weiß, was es heißt, wenn man eine Ganztagsschule „light“ macht. Ich habe selbst in Hamburg eine Ganztagsschule mit aufgebaut. Das Schlimmste, was Sie machen können, ist, wenn Sie Ganztagsschulen ohne Konzept und ohne bestimmte Standards einrichten. Dann erreichen Sie nämlich genau das Gegenteil und schon überhaupt nicht irgendeine Antwort auf PISA.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Auch nach dem Motto: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, gibt irgendeine Ganztagsschule überhaupt keine Antwort auf PISA. Es kommt – weiß Gott – auf das Konzept an.

(Norbert Frühauf Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das Sie nicht haben!)

Dazu gebe ich Ihnen gleich noch einige Beispiele.

Herr Drews, ich möchte auch mit einer anderen Mär aufräumen. Sie wissen ganz genau, dass das Geld für die Ganztagsschulen ohne Finanzierungsvorbehalt in Berlin beschlossen wurde. Es gibt viele Dinge, die sicherlich immer von Wachstum, Konjunktur und Ähnlichem abhängig sind. Aber gerade der Bereich Ganztagsschulen wurde ohne Finanzierungsvorbehalt beschlossen. Das wird auch die von allen anerkannte Haushaltsexpertin Anja Hajduk bestätigen.

(Wolfgang Drews CDU: Von wem ist sie aner- kannt?)

Das zunächst vorweg. Ich komme jetzt zum eigentlichen Thema.

Eine Ganztagsschule ist – das sagte ich schon – keine Antwort auf PISA per se, sondern es kommt auf die Qualität und Standards an. Insofern haben die grünen bildungspolitischen Sprecherinnen aller Länderfraktionen und unsere zuständige Abgeordnete Grietje Bettin in Berlin ein Eckpunktepapier für die Ganztagsschulen festgelegt, auf das wir uns auch in Hamburg beziehen.

Natürlich wollen wir Ganztagsschulen mit einem pädagogischen Konzept und keine Verwahranstalten mit nur einer Suppenküche haben. Das bringt nichts. Die Schülerinnen und Schüler auch noch in den späten Nachmittag hinein im 45-Minuten-Takt durchpauken zu lassen oder ihnen eine Kletterwand hinzustellen, wird überhaupt nicht ausreichen, um erfolgreiche Bildungsprozesse entstehen zu lassen, die wichtig sind, um tatsächlich die Antwort auf PISA zu geben.

(Wolfgang Drews CDU: Ach, das sehen Sie jetzt auch!)

Das ist immer schon unsere Maßgabe gewesen.

Die Grünen haben auf Bundesebene und in den Ländern gefordert, dass neben den nationalen Bildungsstandards auch eine Art Qualitätsagenturen entstehen müssen, die die Länder beraten, durch Best-Practice-Beispiele den Ganztagsbereich zu entwickeln. Das ist einer der wichtigen Punkte.

Der zweite Punkt: Schulen brauchen auch Freiheit. Sie wissen, dass wir das Thema Autonomie vehement vertreten. Insofern geht es nicht darum, dass festgeschriebene Konzepte an die Vergabe der Gelder gebunden sind, Herr Drews. Es geht darum, dass eine Gestaltungsmöglichkeit vorhanden ist. Auf Sylt benötigen Sie eine andere Ganztagsschule als in Berlin-Kreuzberg.

(Wolfgang Drews CDU: Richtig!)

Es wäre doch fürchterlich, hier mit einem Konzept eine flächendeckende Beglückung machen zu wollen. Schulen brauchen Freiheit und Autonomie.

(Wolfgang Drews CDU: Das erzählen Sie mal Frau Ernst, die gleich 100 Stück haben will!)

Es gibt einen weiteren Punkt. Ich vertrete die Meinung, dass in allen Schulformen Ganztagsschulen eingerichtet werden sollten. Wir haben aber einen besonderen Bedarf an sozialen Brennpunkten. Es kann mir keiner etwas vormachen: Diesen Bereichen muss unser besonderes Augenmerk gelten. Interessanterweise sind aufgrund des Leidensdrucks schon an vielen sozialen Brennpunkten in Hamburg Ganztagsschulen entstanden, die gerade in Wilhelmsburg und in Altona vorbildlich sind. Das sind Vorzeigebeispiele, die sowohl der Ganztagsschulverband Hamburg als auch der bundesweite Ganztagsschulverband entsprechend priorisiert.

Ich möchte noch etwas zum Geld sagen. Das Geld muss wirklich bei den Schulen ankommen. Deshalb noch einmal zu Frau Bulmahn. Es ist schon etwas dran, dass sie ein Auge darauf hat, dass das Geld nicht versickert und damit irgendwelche Turnhallen renoviert werden. Hier muss eine Maßgabe vorhanden sein, um eine gewisse Qualität zu gewährleisten.

Zum ewigen Vorwurf, es würden keine Gelder für Personal und Betriebshaushalte zur Verfügung gestellt. Das darf auch gar nicht sein, die Bundesregierung kann kein Geld für Personal ausgeben, weil die Kultushoheit bei den Ländern liegt. Herr Drews, ich glaube, dass Sie diese nicht anzweifeln wollen.

Ich könnte Ihnen wunderbare Beispiele von Ganztagsschulkonzepten erläutern, wie zum Beispiel auch die Öffnung der Schule zum Stadtteil aussehen kann und wie andere Professionen in der Schule tätig werden können. Hierzu gibt es auch schon einige gute Beispiele in Hamburg. Ich hoffe – das ist auch an Herrn Senator Lange gerichtet –, dass die bisherige Praxis mit den vorgegebenen Standards bleibt. In Hamburg hat keine Schule den Zuschlag als Ganztagsschule bekommen, die kein Konzept vorlegen konnte, keine, wo das Kollegium und die Schulkonferenz nicht entsprechend entschieden haben und die Eltern nicht bereit waren, ihre Kinder nachmittags in die Schule zu schicken. Dann gibt es eine Garantie, dass die Ganztagsschule in Hamburg zum Erfolg führt und diese hoffentlich auch eine Antwort auf PISA ist. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Woestmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin überrascht, von Frau Goetsch zu hören, dass die SPD offensichtlich doch beweglicher ist, als wir es angenommen haben. Das sind Details aus den Koalitionsverhandlungen, die uns nicht bekannt waren. Man kann also sagen: Und die SPD bewegt sich doch. Manchmal bewegt sie sich schwerfällig, manchmal etwas mühsam,

(Leif Schrader FDP: Und manchmal in die falsche Richtung!)

meistens auf ihren Parteitagen, mal mit ihrem Landesvorsitzenden, mal gegen ihren Generalsekretär. Bewegung gibt es selbst auf Politikfeldern, wo häufig Stillstand – wie

(Christa Goetsch GAL)

vor kurzem bei der Inneren Sicherheit oder bei Ihrem Parteitag zur Bildungspolitik – regiert hat.

Nun nennen Sie Ihre Große Anfrage „Rückenwind aus Berlin“. Es ist schon rührend, mit anzuhören, wie Herr Buss versucht, eine schwerfällige Volkspartei in Bewegung zu setzen. Ob diese Bewegung wirklich durch den Rückenwind aus Berlin erzeugt wird, möchte ich bezweifeln. Ich glaube eher, dass es der Gegenwind aus Berlin ist, der Sie in Bewegung versetzt hat.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Bleiben wir beim Rückenwind. Wir spüren den Rückenwind und wissen auch, wer ihn nutzen möchte, muss natürlich erst einmal die Segel aufspannen. In den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit haben Sie das Segelaufspannen schlichtweg unterlassen. Sie sind nicht diejenigen, die die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass die Millionen aus Berlin in Hamburg für mehr Ganztagsschulangebote sorgen können. Wir sind diejenigen, die die Konzepte erarbeitet haben oder dabei sind, mehr Angebote zu schaffen. Schließlich haben wir doch den Ausbau von Ganztagsschulangeboten beschleunigt.

Wir freuen uns zwar nicht, dass die Bundesbildungsministerin an Bildung, Forschung und Entwicklung spart, aber wir freuen uns, dass Herr Schröder im Wahlkampf offensichtlich sein Herz für die Bildungspolitik entdeckt hat. Uns wäre es lieber, er würde dabei nicht nur an Ganztagsschulen denken, aber die Lücke zwischen den Ansprüchen der Hamburger SPD-Politik und Frau Bulmahns Haushaltslöchern lassen wir gern Ihr Problem sein. Wir freuen uns aber nicht, dass seit der Ankündigung von Herrn Schröder im Wahlkampf und dem ersten Brief – nicht dem ersten Konzept – an unsere Hamburger Behörde mehr als ein dreiviertel Jahr vergangen ist. Das ist ein Tempo, das diesem wichtigen Anliegen nicht angemessen ist. Wir sind in Hamburg ein anderes Tempo gewohnt. Hier werden die Wahlversprechen einfach schneller gehalten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Wilfried Buss SPD: Schneller gebrochen!)

Herr Buss, ich verstehe jetzt, warum Sie unser Tempo immer kritisiert haben. Sie haben offensichtlich eine ganz andere Wahrnehmung von Geschwindigkeit. Wenn man Sie überholt, sind Sie immer noch dabei, sich umzudrehen, weil Sie das Gefühl haben, dass jemand von hinten kommt.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Verschärfend kommt noch hinzu, dass Sie – im Gegensatz zu uns in Hamburg – in Berlin schon seit fünf Jahren an der Regierung sind.

(Ingo Egloff SPD: Das werden Sie auch nicht errei- chen!)

Ein dreiviertel Jahr zur Umsetzung kann man fast noch entschuldigen, aber Sie haben erst einmal vier Jahre gebraucht, um überhaupt auf die Idee zu kommen. Zum Glück werden Herrn Schröders Millionen nicht reichen, um alle Schulen zu Ganztagsschulen zu machen; das wollen wir auch nicht. Deshalb sprechen wir immer ganz bewusst von Ganztagsschulangeboten. Ich würde auch niemals die Zahl 100 in den Mund nehmen. Wir müssen – das ist richtig – an sehr vielen Standorten in Hamburg solche Angebote schaffen. Jeder muss darauf einen Zugriff haben,

aber wenn Eltern meinen, dass sie ihr Kind nicht ganztägig in der Schule haben wollen, wenn es Familien und Sozialstrukturen gibt, in denen Kinder zu Hause gut aufgehoben sind und nicht vor dem Fernseher geparkt werden, dann genügt auch ein kompakter Halbtagsunterricht mit zusätzlichen freiwilligen Nachmittagsangeboten. Ich will keine Rund-um-die-Uhr-Fürsorge zwangsverpflichtend für alle.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)