Protokoll der Sitzung vom 26.09.2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne unsere heutige Tagung. Erkrankt ist Frau Abgeordnete Dr. Gitta Trauernicht. - Wir wünschen ihr von dieser Stelle aus gute Genesung!

(Beifall)

Seitens der Landesregierung sind beurlaubt Ministerpräsident Albig, Ministerin Anke Spoorendonk sowie Minister Meyer.

Wie ich soeben erfahren habe, ist der Abgeordnete Dr. Dolgner Vater geworden. - Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Tochter!

(Beifall)

Ich hoffe nicht, dass das dazu führt, Herr Abgeordneter, dass Sie ab jetzt nachts so oft aufstehen müssen, dass Ihr Fragebedarf hier in der Sitzung eingeschränkt wird.

(Heiterkeit)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 18/1124

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich hole ein Versäumnis nach. Bevor wir in die Debatte einsteigen, begrüße ich auf der Besuchertribüne Besucherinnen und Besucher der GeschwisterPrenski-Gemeinschaftsschule Lübeck. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich eröffne nun die Grundsatzberatung und erteile der Ministerin für Bildung und Wissenschaft Dr. Waltraud Wende das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsiden! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Kinder und Jugendliche haben, unabhängig vom Unterstützungspotenzial ihrer Herkunftsfamilien, einen Anspruch auf bestmögliche Förderung. Und dabei geht es um mehr, als dass sie Lesen, Schreiben,

Rechnen und die Grundlagen des naturwissenschaftlich-technischen Wissens vermittelt bekommen. Bestmögliche Förderung bezieht sich nicht allein auf intellektuelle und kognitive Kompetenzen, nicht allein auf die Vermittlung von Wissen, sondern auch auf die Förderung und Entwicklung sozialer und emotionaler, körperlicher und künstlerischer Potenziale.

Im Fokus steht dabei nicht die Frage: Wie muss ein Schüler oder eine Schülerin sein, um den Anforderungen der Schule gerecht zu werden, sondern im Fokus steht die Frage: Wie muss Schule sein, damit sie den Ansprüchen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen gerecht wird?

Der Unterricht im Gleichschritt einer als leistungshomogen gedachten Jahrgangsklasse war gestern, dem binnendifferenzierten schüler- und schülerinnenzentrierten Unterricht gehört die Zukunft. Es geht um Unterrichtsformen, bei denen sich die Lehrer und Lehrerinnen als partnerschaftliche Lernbegleiter verstehen, um Unterrichtsformen, die Rücksicht auf das unterschiedliche Lerntempo der Kinder und Jugendlichen nehmen, die die Stärken der Schüler und Schülerinnen herausfordern und ihre Schwächen minimieren, um Unterrichtsformen, die dem sich gegenseitigen Helfen einen genauso großen Stellenwert geben wie der Ermunterung zu eigenständigem und eigenverantwortlichen Lernen und Handeln.

Und genau das ist der Geist des neuen Schulgesetzes. Wenn der Entwurf des heute zur Beratung stehenden Schulgesetzes zum Schuljahr 2014/2015 in Kraft tritt, haben wir viel erreicht für die bestmögliche Förderung unserer Schülerinnen und Schüler, für die Chancengerechtigkeit in unserem Land, für das soziale Miteinander und den sozialen Zusammenhalt in Schleswig-Holstein.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Entwurf des Schulgesetzes steht am Ende eines intensiven Dialogs, den wir mit Lehrern und Lehrerinnen, Schülern und Schülerinnen, mit Eltern, Verbänden, Vereinen, den Kirchen, Kinderärzten und Kinderpsychologen geführt haben. Wir haben Meinungen ausgetauscht, wir haben leidenschaftliche Debatten geführt, wir haben miteinander um die Zukunft unserer Schullandschaft gerungen, sodass ich heute mit Fug und Recht sagen kann: Das neue Schulgesetz hat viele Mütter und Väter. Und darüber freue ich mich sehr.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

2982 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 37. Sitzung - Donnerstag, 26. September 2013

Ich darf Ihnen noch etwas anderes verraten. Es fühlt sich gut an, nach nur einem Jahr Regierungszeit den Entwurf für ein von der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen getragenes neues Schulgesetz vorzulegen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Woher hat sie das denn?)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Kernpunkte des Entwurfs skizzieren. Im Anschluss an die Grundschule können Eltern und Kinder zukünftig zwischen zwei Schulformen wählen: den Gemeinschaftsschulen und den Gymnasien. Im Sekundarbereich II kann dann sogar zwischen drei Wegen gewählt werden: den Oberstufen der Gemeinschaftsschulen, den Oberstufen der Gymnasien und den Oberstufen der beruflichen Schulen. Damit haben wir drei unterschiedliche, aber drei gleichwertige Wege zum Abitur.

Vor der heutigen Parlamentsbefassung gab es die Anhörung von Interessensvertretern, Verbänden, Vereinen und Gewerkschaften. Die Anhörung hat eine breite Unterstützung für die wesentlichen Änderungen im Schulgesetz gebracht. Dass wir im Anschluss an die Grundschule zukünftig nunmehr zwei Schulformen haben werden, nämlich die Gemeinschaftsschulen und die Gymnasien, findet eine große Zustimmung. Und dass die damit verbundene Umwandlung von Regionalschulen zu Gemeinschaftsschulen sogar von den Interessensvertretern der Regionalschulen begrüßt wird, spricht, wie ich finde, für sich.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Auch das gegenseitige Lernen als durchgängiges Prinzip der Gemeinschaftsschulen findet allgemeine Zustimmung.

Sie alle wissen, dass in der Anhörung auch über die Begriffe Erziehung und Bildung nachgedacht wurde. Die im Gesetzentwurf durchgängig benutzte Formulierung „pädagogische Ziele“ hat einen ganz bestimmten Grund. Ich finde, ein Schulgesetz darf in seiner Terminologie nicht mehrdeutig sein. Die im Schulgesetz durchgängig gebrauchte Formulierung „pädagogische Ziele“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sowohl in der Alltagssprache wie auch in der Wissenschaft unter Bildung und Erziehung ganz Unterschiedliches verstanden wird. Wir setzen mit dem Schulgesetz den rechtlichen Rahmen für das, was Schule leisten soll. Hier sollten wir eine unmissverständliche Begrifflichkeit wählen. Der im Schulgesetz präferierte Begriff „päd

agogische Ziele“ macht deutlich, dass die Ziele von Schule zunächst einmal sprachlich zu benennen sind. Genau das leistet Artikel 4 des Schulgesetzes. Im Übrigen haben wir eine Legaldefinition vorgenommen. Diejenigen, die von Bildung und Erziehung statt von pädagogischen Zielen sprechen wollen, dürfen das durchaus tun.

Mein persönlicher Bildungs- und Erziehungsbegriff ist eindeutig und, wie ich finde, durchaus reflektiert - er hat im Übrigen auch Eingang in unser Schulgesetz gefunden -: Schule ist mehr als ein Ort, an dem Schüler und Schülerinnen systematisch Fachwissen in den jeweiligen Schulfächern erwerben. Schule ist immer auch ein Erfahrungs-, Lebens- und Lernraum, in dem die unser gesellschaftliches Miteinander ermöglichenden Regeln und Normen, zum Beispiel das um gegenseitiges Verstehen bemühte einander Zuhören, das Akzeptieren unterschiedlicher Meinungen oder das gewaltfreie Austragen von Konflikten, eingeübt und darüber hinaus in ihrer Sinnhaftigkeit reflektiert werden.

(Beifall SSW)

Schule ist nur dann eine gute Schule, wenn es gelingt, dass Schülerinnen und Schüler mit Begeisterung und Neugier bei der Sache sind. Kinder und Jugendliche müssen die Erfahrung machen, dass es Spaß macht, an der Welt des Wissens und Könnens teilzunehmen, dass es spannend ist, Dinge detailgenau zu beobachten, Sachverhalte präzise zu analysieren und Themen sprachlich differenziert darzustellen. Schule muss ein Ort sein, an dem die Schüler und Schülerinnen zum Selbstdenken und zur Selbsttätigkeit ermutigt und befähigt werden.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Sie muss aber auch ein Ort sein, an dem den Schülern und Schülerinnen die Subjektivität des eigenen Wahrnehmens, Denkens und Fühlens deutlich wird. Das alters- und entwicklungsgerechte Vermitteln fachlichen Wissens und das Training der intellektuellen und kognitiven Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen ist das eine, die Förderung ihrer sozialen, emotionalen, körperlichen und künstlerischen Potenziale das zweite große Aufgabenfeld der Schule. Schüler und Schülerinnen sollen in der Schule nicht nur zum kreativen, phantasievollen und kritischen Selbstdenken ermuntert werden, sondern sie müssen auch dazu motiviert werden, sich in die Gefühle, Einstellungen und Motive anderer Menschen hineinzuversetzen, und sie müssen angehalten werden, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 37. Sitzung - Donnerstag, 26. September 2013 2983

(Ministerin Dr. Waltraud Wende)

Das ist meine Definition von schulischer Bildung und Erziehung. Ich bin gespannt, wie im Anschluss an meine Ausführungen die Opposition dann ihren Bildungs- und Erziehungsbegriff nicht nur lautstark verteidigen, sondern auch mit konkreten semantischen Inhalten füllen wird.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Lassen Sie mich zuvor sechs Punkte unseres Schulgesetzes skizzieren, bei denen auch im Bildungsdialog der Gesprächsbedarf am größten war:

Erstens: Gymnasien. An den Gymnasien wird in der Regel nach acht Jahren das Abitur erworben. Die bestehenden elf Gymnasien mit einem neunjährigen Bildungsgang und die vier Gymnasien, die sowohl einen acht- wie einen neunjährigen Bildungsgang anbieten - das ist das sogenannte Y-Modell - können fortgeführt werden.

Zweitens: Gemeinschaftsschulen. An den Gemeinschaftsschulen können drei Bildungsabschlüsse erworben werden, die Berufsbildungsreife nach neun Jahren, der Mittlere Abschluss nach zehn Jahren und das Abitur nach 13 Jahren. Vor allem aber können zukünftig mehr Oberstufen eingerichtet werden, mehr Oberstufen, die künftig mehr Schüler und Schülerinnen zu einem höheren Schulabschluss führen sollen. Das, genau das verstehe ich unter Bildungsgerechtigkeit.

(Beifall SPD und SSW)

Drittens: Kooperationen. Da nicht alle Gemeinschaftsschulen eine eigene Oberstufe haben, können Schulen ohne eine eigene Oberstufe Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen mit eigener Oberstufe oder mit beruflichen Gymnasien eingehen. Diese Kooperationen gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler bereits mit dem Wechsel von der Grundschule in die weiterführende Schule ihre Oberstufe kennen. Zudem haben die Schülerinnen und Schüler, wenn sie die schulischen Leistungsvoraussetzungen erfüllen, damit einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Oberstufe.

Viertens: abschlussbezogene Klassenverbände. An den Gemeinschaftsschulen wird es mit Ausnahme der flexiblen Übergangsphase keine abschlussbezogenen Klassenverbände mehr geben. Der Unterricht findet in binnendifferenzierter Form statt. Ab der 7. Klasse beziehungsweise Jahrgangsstufe ist es möglich, die Lerngruppen in einzelnen Fächern nach Leistungsfähigkeit und Neigung der Schülerinnen und Schüler zu differenzieren. Im Unterschied zu den Gymnasien wird an der Gemein

schaftsschule auf allen Anforderungsebenen unterrichtet und dabei das längere gemeinsame Lernen gestärkt.

Fünftens: Regionalschulen. Alle bestehenden Regionalschulen mit mindestens 240 Schülerinnen und Schülern werden zum 1. August 2014 in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Kleinere Regionalschulen können mit anderen Schulen kooperieren.

Sechstens: Abschlüsse. An die Stelle des Hauptschulabschlusses tritt die Bezeichnung „Berufsbildungsreife“, an die Stelle des Realschulabschlusses die Bezeichnung „Mittlerer Abschluss“. Diese Bezeichnungen orientieren sich einerseits an der Beschlusslage der KMK und zum anderen an anderen Bundesländern, die die Abschlüsse ebenfalls so bezeichnen.

Meine Damen und Herren, dieses Schulgesetz schafft eine Schulstruktur, die Chancengerechtigkeit ermöglicht. Daran sollten wir alle zusammen weiter arbeiten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)