Protokoll der Sitzung vom 10.09.2014

keine zusätzliche Lehrerstelle an den Förderzentren. Das finde ich bezeichnend.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, generell fehlt mir eine Aussage zu den notwendigen Maßnahmen und deren Finanzierung, vor allem an den bestehenden Regelschulen, wenn vorrangig eine inklusive Beschulung ermöglicht werden soll. Wie wird Barrierefreiheit in allen Bereichen erlangt, auch zur sensorischen Orientierung? In welcher Anzahl und Ausstattungsqualität sind Pflege-, Rückzugs- oder spezielle Förderräume vorzuhalten? Wie soll der Zugang zu Informationen, zu Lehr- und Lernmitteln barrierefrei gestaltet werden?

Eine ehrliche Aussage zu den zu kalkulierenden Kosten und den damit verbundenen Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte der Schulträger wäre wichtig gewesen. Dazu kann das Ministerium laut vorliegendem Bericht aber keine Aussage machen. Warum eigentlich?

Das Konzept enttäuscht auch, weil die Landesregierung vollmundig Erwartungen geschürt hat, die sie jetzt nicht erfüllen kann. Es überzeugt wenig, wenn die einzigen zusätzlichen Mittel, die Sie aufwenden, Mittel sind, die Ihnen unverhofft in den Schoß gefallen sind, ansonsten aber alles andere aus den vorhandenen Ressourcen erwirtschaftet werden muss.

Liebe Frau Kollegin Erdmann, an dieser Stelle sage ich Ihnen ganz klar: Wenn wir die Zensusmittel in der vergangenen Legislaturperiode gehabt hätten, wäre einiges anders gelaufen.

Meine Damen und Herren, an diesem Konzept wird öffentlich deutlich Kritik geübt. Die GEW nennt das Papier in jeder Hinsicht beratungsbedürftig. Der Landeselternbeirat Grundschulen und Förderzentren bezeichnet das Konzept als zu kurz und wenig konkret. Eine motivierende Lehrkraft hätte unter diesen Aufsatz geschrieben: Ich sehe zwar, dass du dich bemüht hast, aber leider hast du das Thema verfehlt.

Meine Damen und Herren, der Bericht bietet keine Antwort darauf, wie die Versorgung der Schulen mit Sonderpädagogen besser geregelt werden kann, damit die notwendige individuelle Förderung passgenau erfolgen kann. Die aktuellen Probleme der zu kleinteiligen Strukturen, der mangelnden Kontinuität in der Arbeit mit den Schülern, der Verschwendung von Ressourcen in Fahrwegen und Abstimmungsprozessen wrden zwar formuliert, aber die richtigen Schlussfolgerungen fehlen leider.

Lieber Kollege Habersaat, auch wenn Sie darauf hinweisen, was wir alles falsch gemacht hätten, den Ressourcenvorbehalt hat bereits Frau Erdsiek-Rave geprägt.

Die neugeordnete Lehrerbildung im Bereich der Sonderpädagogik bezeichnen Sie als Baustein zur Verbesserung der Situation. Ich vermute, dass Sie die Kritik der Fachverbände diesbezüglich nicht wahrnehmen wollen; denn diese sprechen von einem Rückschritt.

Ebenso präsentieren Sie 314 Stellen für die Schulassistenz an Grundschulen ab Sommer 2015 als Erfolg, wobei Aufgabenbeschreibung, Qualifikation und Bezahlung der zukünftigen Schulassistenten erst noch gefunden werden müssen. Liebe Frau Erdmann, ich habe vorhin mit Interesse gehört, dass Sie gesagt haben, die Schulbegleitung und die Schulassistenz gehörten zusammen. Bislang war immer die Rede davon, dass die Schulassistenz on top gehe. Das wird also noch eine spannende Diskussion im Ausschuss.

Meine Damen und Herren, es gibt 397 Grundschulen - ohne Halligschulen - in diesem Land. Außerdem sind 314 Stellen für die Schulassistenz an Grundschulen vorgesehen. Nach welchen Kriterien wollen Sie diese zuweisen? Im Bericht findet sich keine Antwort auf diese Frage. Es bleibt die Landesregierung eine Antwort schuldig auf die Frage der Entlastung für die Sekundarstufe I. Die Antwort darauf vertagt die Landesregierung auf später. Das ist kein Erfolg, sondern das ist ein Akt der Verzweiflung.

Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hat bereits vor der Sommerpause ein eigenes Konzept zur Inklusion an Schulen vorgelegt, weil die Ministerin weder ihre selbst gesteckten Ziele noch einen Plenarbeschluss umgesetzt hat, die betroffenen Menschen aber zu Recht einen Lösungsansatz forderten. In diesem Konzept zeigen wir einen dritten Weg auf, um die bestehenden Probleme kurz- bis mittelfristig in den Griff zu bekommen. Das Ganze steht natürlich unter dem Vorbehalt, dass Ressourcen vorhanden sind. An dieser Stelle lassen Sie die Kommunen aber schlicht und einfach im Regen stehen.

(Beifall FDP und CDU)

So soll nach unserem Konzept unter dem Dach einer allgemeinbildenden Schule der Unterricht für Schüler mit Förderbedarf ganz oder teilweise in speziellen Lerngruppen ermöglicht werden. Dafür muss ein Netzwerk aus Inklusionsschulen geschaffen werden. Die Förderschulen bleiben daneben als

(Anita Klahn)

zentrale Säule erhalten und schaffen damit die notwendige Wahlfreiheit für Eltern und Schüler.

Uns ist es wichtig, allen Schülern gerecht zu werden, und zwar allen Schülern mit und ohne Förderbedarf. Darauf müssen wir unsere Politik ausrichten. Ich betone die Worte „uns“ und „wir“ im Gegensatz zur Ministerin, die nur von „ich“ spricht. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP und CDU)

Für die Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Sven Krumbeck das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die heutige Debatte. Frau Wende hat heute auch gesprochen, aber nicht über sich selbst - das macht sie nie -, sondern über das, wofür sie eingestellt wurde, nämlich über Bildungspolitik, genauer über Inklusion.

Wir haben alle auf diese Ideensammlung der Bildungsministerin zum Inklusionskonzept gewartet. Dies wurde für den Frühsommer angekündigt, und es liegt nun endlich vor. Hinsichtlich der Grundannahmen - das darf man sagen - ist es durchaus diskussionswürdig. In vielen Punkten sind sich alle hier vertretenen Fraktionen einig. Diese Einigkeit findet sich auch im Papier der Ministerin wieder: Inklusion braucht viel mehr Personal. Inklusion ist nicht zum Nulltarif zu haben.

(Beifall PIRATEN)

Die Ministerin - auch das darf man lobend erwähnen - hat sich Gedanken gemacht. Schulassistenten sollen nun zu Hilfe eilen. Das kann gut sein. Allerdings habe ich noch immer Fragen zur Aufgabenbeschreibung und zur Qualifikation dieser Mitarbeitergruppe. Ich bin an dieser Stelle besonders sensibel, weil ich seit Monaten die Probleme der pädagogischen Hilfen in den Förderzentren G begleite, die zwar keinen eigenverantwortlichen Unterricht erteilen dürfen, dies aber sehr wohl tun. Unsere Anfragen haben dies ergeben.

Diesen Gruppen fehlt bis heute jegliche Anerkennung und jede angemessene Vergütung für ihre Arbeit. Man wird Verständnis dafür haben, dass ich skeptisch bin, wenn man eine Baustelle noch nicht hat abräumen können und an anderer Stelle gleich noch eine zweite Baustelle aufmacht.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Darüber will ich mich aber gern aufklären lassen.

Zwei Dinge ärgern mich an diesem Inklusionskonzept aber tatsächlich. Eine Begründung für die Vertagung des Themas war vonseiten der Ministerin stets die Notwendigkeit, die Frage der Schulbegleitung zu regeln. Zu diesem Thema sagt das Papier tatsächlich nichts aus. Das wird einfach ausgespart. Das ist insoweit verständlich, als die Frage wirklich sehr komplex ist und ressortübergreifend und im Einvernehmen mit den Kommunen zu regeln ist. Möglicherweise geht das gar nicht in der Frist, die sich die Ministerin selbst gesetzt hat. Ein ehrliches Wort dazu hätte ich aber schon erwartet. Einfach einmal etwas auszusparen, bringt die Politik nämlich nicht weiter.

(Beifall PIRATEN)

Das Gleiche gilt für den tatsächlichen Personalbedarf. Jetzt meine ich die Sonderpädagogen. Die GEW, die in der Vergangenheit sehr verlässliche Bedarfsberechnungen vorgelegt hat, geht von 1.000 zusätzlichen Stellen aus. Ein Fehl von 150 Sonderpädagogen nennt die Regierung. Sie sagt aber nicht, dass diese 150 Stellen lediglich den Status quo auf schlechtem Niveau halten und dass dann immer noch 250 Erzieherstellen fehlen, um die Situation überhaupt auch nur in Ansätzen zu verbessern.

Zu einem Konzept - das war und bleibt auch meine Hauptkritik - gehört mehr als eine Ideensammlung. Dazu gehört zwingend auch eine Umsetzungsstrategie, und dazu gehört natürlicherweise auch eine Überprüfung der Bedarfe und der Umsetzungszeiträume.

Wir wissen, dass sich die Regierung mit konkreten Informationen schwertut. Aber einer Regierung, die im Angesicht aller Erschwernisse gerade im Bereich der Inklusion ausgerechnet die Förderschulen mit keiner einzigen neuen Planstelle in diesem Jahr bedenkt, der sollte man in dieser Frage genau auf die Finger schauen.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Mein Fazit: Es gibt gute Überlegungen und Ideen, die sicher die Zustimmung aller hier im Haus verdienen. Wenn sie aber wieder auf so wackeligen Beinen stehen wie manches aus dem Bereich Schuloder Lehrerbildungsgesetz, dann wird es schwer, alle von der angenommenen Güte zu überzeugen. Auch dass die zusätzlichen Schulpsychologen aus der Substanz an Lehrerstellen erbracht werden, kritisiere ich. Wer zusätzliches Personal ankündigt, der muss es auch liefern. Das zulasten der Lehrer

(Anita Klahn)

planstellen zu machen, ist in der aktuellen Situation nicht hinnehmbar.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Es ist nun an der Ministerin zu zeigen, dass ihr Papier mehr ist als eine Ideensammlung und den Namen Konzept auch verdient. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt CDU)

Für die Abgeordneten des SSW hat Frau Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich, dass der Begriff Inklusion nicht erst mit dem nun vorliegenden Bericht in aller Munde ist. Ich denke, eine wirklich inklusive Gesellschaft zu schaffen, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Für den SSW ist jedenfalls klar: Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen. Dabei ist es völlig egal, welche individuellen Fähigkeiten er oder sie mitbringt. Dieser Anspruch gilt unabhängig vom sozialen oder ethnischen Hintergrund oder vom Geschlecht oder Alter. Um es ganz klar zu sagen: Alle haben ein Recht auf umfassende Teilhabe an sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen. Um dies zu erreichen, sind nicht nur Politik und alle staatlichen Ebenen in der Pflicht. Nein: Inklusion geht uns alle an - und wir alle müssen diesen Gedanken mit Leben füllen.

Mittlerweile reden mehr Menschen über Inklusion. Dennoch bin ich immer noch sehr erstaunt darüber, wie wenig man eigentlich darüber weiß. Es ist richtig: Es geht um die Verwirklichung von Menschenrechten. Es geht um die Umsetzung einer Konvention, die aus der Feder der Vereinten Nationen stammt. Diese Konvention wurde schon vor Jahren von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und ist damit verbindliches Recht.

Das alles klingt, als wäre das Thema ganz weit weg, ganz abstrakt, als würde es uns nichts angehen. Aber so ist es natürlich nicht. Nicht zuletzt der vorliegende Bericht zur Inklusion an Schulen ist Ausdruck dafür, dass dieses Thema nicht nur hoch aktuell ist, sondern auch fester Bestandteil des Alltags. Und das ist gut so.

Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel zu beruflichem Erfolg, zu einem selbstbestimmten Leben

und zu mehr Zufriedenheit ist. Dementsprechend ist ein höchstmöglicher Abschluss für all unsere Kinder auch das erklärte Ziel von SSW, Grünen und SPD. Wir arbeiten gemeinsam an einem wirklich inklusiven Schulwesen und damit an einem System, das eben nicht aussortiert, in Schubladen steckt und haufenweise Verlierer produziert.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Wir wollen Chancengleichheit für unsere Kinder, ganz gleich, ob ein besonderer Bedarf aufgrund einer Behinderung oder aufgrund einer Hochbegabung vorliegt. Keine Frage: Um dieses Ziel zu erreichen, sind eine ehrliche Bestandsaufnahme und ein realistisches Konzept unverzichtbar. Auch wenn es nur ein erster Aufschlag ist, danke ich dem Ministerium ausdrücklich für die gründliche Arbeit und den umfangreichen Bericht.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Natürlich kommt den Bildungseinrichtungen in diesem Zusammenhang eine besonders wichtige Rolle zu. Aus diesem Grund ist eine entsprechende Lehrerbildung und vor allem auch die Fortbildung unserer Lehrerinnen und Lehrer unerlässlich. Aber Inklusion ist viel mehr als das: Sie ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe. Aus Sicht des SSW ist es deshalb besonders wichtig, dass wir hier von Anfang an den Übergang von Schule zu Beruf und die Herausforderung eines inklusiven Arbeitsmarktes mitdenken; denn nur so wird es uns gelingen, ein umfassendes Recht auf Teilhabe sicherzustellen.

Machen wir uns nichts vor: Eine möglichst umfassende inklusive Beschulung bei höchstmöglicher Qualität liegt noch in weiter Ferne. Mit dem vorliegenden Konzept haben wir eine fundierte Grundlage, um mit aller gebotenen Gründlichkeit weiterzuarbeiten. Klar ist, dass wir keine Inklusion mit der Brechstange wollen. In diesem Sinne sind und bleiben zum Beispiel Förderzentren unverzichtbar; denn sie sichern die Wahlfreiheit für die Eltern, die vor der Frage stehen, wie die bestmögliche Förderung für ihre Kinder aussieht. Diese Freiheit darf auf keinen Fall eingeschränkt werden. So viel ist klar.

Grundsätzlich lässt sich heute sagen, dass wir die Weichen mit unserem Schulgesetz und der reformierten Lehrerbildung richtig gestellt haben. Auch wenn noch viele Hausaufgaben zu erledigen sind, sind wir auf einem sehr guten Weg. Mit Blick auf das vorliegende Konzept und die hieraus folgenden Schritte werden wir natürlich immer auf die kom