In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das besagte kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungs
schutzgesetz näher eingehen. Mit dem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes zum Anlass genommen, um erstmals detaillierte verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Befugnisse von Verfassungsschutzbehörden zu entwickeln. Meist fordert das Gericht höhere gesetzliche Einsatzschwellen, die Anforderungen an einen hinreichenden verfassungsschutzspezifischen Aufklärungsbedarf stellen, teilweise auch eine unabhängige Vorabkontrolle für besonders eingriffsintensive Überwachungsmaßnahmen. Zudem wurden strengere Anforderungen an die Übermittlung nachrichtendienstlich gewonnener Erkenntnisse an andere Stellen entwickelt.
Festzustellen bleibt, dass das Urteil Rechtskraft unmittelbar nur in Bezug auf die Regelungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes entfaltet, das Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war. Regelungen des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes, das seit dem Jahr 2015 keine Änderung erfahren hat, waren hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens. Aber, auch das möchte ich betonen, das Urteil formuliert zugleich allgemeine und grundlegende Anforderungen an die Datenerhebung durch die Verfassungsschutzbehörden und die anschließende Übermittlung an andere Stellen einschließlich verfahrensspezifischer Vorgaben, welche auch in den übrigen Verfassungsschutzgesetzen Berücksichtigung finden müssen. Es hat insoweit Grundsatzcharakter für die Tätigkeit des Verfassungsschutzverbunds. Die Parlamentarische Kontrollkommission nimmt daher zur Kenntnis, dass zwischenzeitlich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet worden ist, um im Verfassungsschutzverbund eine gemeinsame Herangehensweise bei der Evaluierung der verfassungsschutzrelevanten Rechtsnormen zu ermöglichen. Die Parlamentarische Kontrollkommission hat sich durch die Landesregierung in einer ersten Auswertung des Urteils über dessen wesentliche Inhalte unterrichten lassen. Sie wird den Prozess der anstehenden Novellierung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes begleiten und, soweit aus ihrer Sicht erforderlich, auch eigene Vorschläge einbringen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass der Thüringer Verfassungsschutz seit Längerem über eine interne, unabhängige Stabsstelle Controlling verfügt, deren Aufgaben und Befugnisse bereits seit dem Jahr 2015 gesetzlich verankert sind. Diese Stabsstelle wird auch von der Parlamentarischen Kontrollkommission regelmäßig befragt. Zudem hat der Leiter der Stabsstelle Controlling aufgrund einer geschäftsordnungsgemäßen Festlegung regelmäßig halbjährlich über seine Tätigkeit zu berichten.
An dieser Stelle möchte ich auf einen Punkt eingehen, der in der Vergangenheit eine große Rolle in unserer Arbeit gespielt hat, die restriktive Handhabung des sogenannten Weitergabevorbehalts nach § 6 Abs. 1 Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Danach dürfen vom Bundesamt für Verfassungsschutz und von den Landesbehörden für Verfassungsschutz übermittelte Daten nur mit deren Zustimmung an Stellen außerhalb der Behörden für Verfassungsschutz übermittelt werden. Dabei wurden die Parlamente und deren Organe als sogenannte Außenstehende betrachtet. Unsere Auffassung war – und daran halten wir auch fest, übrigens in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts –, dass Parlamente und ihre Organe, mithin auch die zur Kontrolle des Verfassungsschutzes berufenen parlamentarischen Gremien, nicht als Außenstehende qualifiziert werden können, die zum Kreis derer gehören, vor denen Informationen zum Schutz des Staatswohls geheim zu halten sind. Seitens des Amts für Verfassungsschutz wurde im Berichtszeitraum in keinem Fall ein Hinweis mit Bezug zum Weitergabevorbehalt gegeben. Die Parlamentarische Kontrollkommission betont gleichwohl ihre bekannte Rechtsauffassung, dass das Handeln und das Wissen der hiesigen Verfassungsschutzbehörde auch hinsichtlich der von anderen Verfassungsschutzbehörden übermittelten Informationen der vollen Kontrolle nach Artikel 97 Satz 3 der Landesverfassung zugänglich sein muss.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auf einige besondere Befugnisse eingehen, die es der Parlamentarischen Kontrollkommission ermöglichen, ihre Kontrollaufgaben wirksam wahrzunehmen. Im Rahmen ihrer Kontrollrechte kann die Parlamentarische Kontrollkommission von der Landesregierung verlangen, Einsicht in Akten, Schriftstücke, Dateien des Amts für Verfassungsschutz zu nehmen. Dies gilt auch für Akten, Schriften und Dateien der Landesregierung und anderer Landesbehörden, soweit diese die Tätigkeit des Amts für Verfassungsschutz betreffen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann zudem im Rahmen ihrer Kontrollbefugnisse von der Landesregierung verlangen, Zutritt zu allen Räumlichkeiten des Amts für Verfassungsschutz zu erhalten. Anlass, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen, bestand im Berichtszeitraum nicht, da der Informationsauftrag durch die schriftliche Berichterstattung und die Informationen in Kommissionssitzungen umfänglich erfüllt wurde.
Die Kontrollkommission kann zudem auch Bedienstete des Amts für Verfassungsschutz und anderer Landesbehörden sowie die Mitglieder der Landesregierung befragen oder von ihnen schriftliche Aus
künfte einholen. Dies gilt auch für ehemalige Bedienstete und ehemalige Mitglieder der Landesregierung. Die Landesregierung hat diesbezüglichen Verlangen der Kontrollkommission unverzüglich zu entsprechen. Darüber hinaus können auch weitere Personen befragt werden, die in keinem Dienstund Amtsverhältnis zum Freistaat Thüringen stehen oder gestanden haben. Diese Befugnisse ermöglichen eine frühzeitige und kontinuierliche Kontrolle. Dabei bleibt die politische Verantwortung der Landesregierung für das Amt für Verfassungsschutz unberührt. Anlass, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen, bestand im Berichtszeitraum ebenfalls nicht.
Wichtig ist – das möchte ich an dieser Stelle betonen –, die Verpflichtung der Landesregierung zur Unterrichtung erstreckt sich nur auf Informationen und Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung des Amts für Verfassungsschutz unterliegen. Eine Unterrichtung kann zudem nur verweigert werden, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus Gründen des Schutzes vor Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Landesregierung eine Unterrichtung ab, hat das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium dies der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann zudem mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder beschließen, nach Anhörung der Landesregierung im Einzelfall einen Sachverständigen mit der Wahrnehmung ihrer Kontrollaufnahmen zu beauftragen und Untersuchungen durchzuführen. Bislang hat die Parlamentarische Kontrollkommission einmal von diesem Befugnis Gebrauch gemacht; ich erinnere an den seinerzeitigen Komplex „Kai-Uwe Trinkaus“.
Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich nach § 26 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes im Rahmen ihrer Selbstorganisation eine Geschäftsordnung. Die in der 6. Wahlperiode am 15. Februar 2017 beschlossene Geschäftsordnung gilt aufgrund der beschriebenen besonderen Umstände zunächst fort. Gleichwohl fasste die Parlamentarische Kontrollkommission, soweit dies angezeigt war, seitdem mehrere geschäftsordnungsergänzende Beschlüsse, die bei einer Revision und dem Neuerlass der Geschäftsordnung Eingang in diese finden werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Parlamentarische Kontrollkommission wird bei ihrer Arbeit durch eine in der Landtagsverwaltung angesiedelte Geschäftsstelle unterstützt. Diese besteht derzeit aus dem ständigen Geschäftsführer, dem
stellvertretenden Geschäftsführer, einem Sachbearbeiter des gehobenen Dienstes, einer Protokollantin, die sämtlich mit weiteren Aufgaben in der Landtagsverwaltung betraut sind. Bei Bedarf können weitere Bedienstete der Landtagsverwaltung zur Unterstützung temporär hinzugezogen werden. Der ständige Geschäftsführer wird von der Landtagspräsidentin im Einvernehmen mit der Parlamentarischen Kontrollkommission bestellt. Er unterliegt den Weisungen des Kommissionsvorsitzenden, bereitet insbesondere die Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission vor und führt deren Beschlüsse aus. Nach Maßgabe der Beschlüsse der Parlamentarischen Kontrollkommission oder der Weisung des Vorsitzenden sind dem ständigen Geschäftsführer im Rahmen der Informationsrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission Auskunft zu erteilen sowie Einsicht in die Akten und Daten des Amts für Verfassungsschutz zu gewährleisten. Er hat dem Vorsitzenden der Parlamentarischen Kontrollkommission Bericht zu erstatten. Der derzeitige ständige Geschäftsführer wurde in der 5. Wahlperiode, der derzeitige stellvertretende Geschäftsführer in der 6. Wahlperiode bestellt.
An dieser Stelle möchte ich betonen: Die Parlamentarische Kontrollkommission sieht es weiterhin als erforderlich an, perspektivisch eine Referentenstelle im höheren Dienst im Bereich der Kommissionsgeschäftsstelle zu schaffen, und wird auch in den anstehenden Haushaltsberatungen darauf drängen, dass diese Forderung umgesetzt wird. Die seitens der Kommissionsgeschäftsstelle wahrzunehmenden Aufgaben erfahren sowohl in Quantität als auch in Qualität ständig Veränderungen, die es rechtfertigen, aber auch notwendig machen, eine Verstetigung der personellen Unterstützung herbeizuführen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Parlamentarische Kontrollkommission muss mindestens einmal im Vierteljahr zu einer Sitzung zusammentreten. Dieser gesetzliche Mindestrahmen wurde durch geschäftsordnungsgemäße Festlegungen dahin gehend erweitert, dass die Parlamentarische Kontrollkommission in der Praxis regelmäßig mindestens einmal im Monat zur Beratung zusammentritt. Im Berichtszeitraum von Oktober 2020 bis September 2022 fanden insgesamt 18 Sitzungen statt, die Beratungen sind geheim. An den Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission nahmen neben den drei Mitgliedern der Geschäftsführer der Kommission oder sein Stellvertreter, ein Sachbearbeiter der Kommissionsgeschäftsstelle sowie eine Protokollantin, für die Landesregierung der Minister für Inneres und Kommunales oder der Staatssekretär im Ministerium für Inneres und Kommunales, der Präsident des Amts für Verfassungsschutz oder
der Vizepräsident des Amts für Verfassungsschutz und der Leiter der Stabsstelle Controlling im Amt für Verfassungsschutz teil. Von der Möglichkeit, den benannten und sicherheitsüberprüften Mitarbeitern der Fraktionen in Einzelfällen und nach Beschluss durch zwei Drittel ihrer Mitglieder Zugang zu den Sitzungen zu gewähren, machte die Kontrollkommission im Berichtszeitraum keinen Gebrauch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission können an den Sitzungen des Haushalts- und Finanzausschusses, in denen Haushaltsvorlagen zum Verfassungsschutz beraten werden, mit beratender Stimme teilnehmen. Diese Beratungen finden in vertraulicher Sitzung statt. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zu den Landeshaushalten 2021 und 2022 erfolgte eine Teilnahme einzelner Kommissionsmitglieder an den Ausschusssitzungen. Regelmäßig wurde durch die Geschäftsführung im Vorfeld der Haushaltsberatungen über die Sitzungen informiert und es wurden Vorschläge im personellen und sächlichen Bereich zur Verfügung gestellt. Das Amt für Verfassungsschutz unterrichtete in Umsetzung der Haushaltsbeschlüsse zur Besetzung von Stellen und Planstellen über die Auswahlverfahren und die Einstellung von Mitarbeitern. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass es im Soll-Ist-Vergleich bislang noch nicht vollständig gelungen ist, alle freien Stellen und Planstellen zu besetzen. Dies wurde damit begründet, dass die notwendigerweise vorgeschalteten Auswahlverfahren einen großen zeitlichen Rahmen in Anspruch nehmen und geeignetes Personal in immer geringerem Maße auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.
Gerade die neue Aufgabe der Mitwirkung bei der Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit hat den bestehenden Personalbedarf mehr als deutlich aufgezeigt. Daher erging stets der eindringliche Appell an die Landesregierung, zumindest die vorhandenen Planstellen und Stellen zu besetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Bediensteten des Amts für Verfassungsschutz ist es gestattet, sich in dienstlichen Angelegenheiten, jedoch nicht im eigenen oder im Interesse anderer Bediensteter des Amts für Verfassungsschutz ohne Einhaltung des Dienstwegs unmittelbar an die Parlamentarische Kotrollkommission zu wenden. Im Berichtszeitraum sind bei der Parlamentarischen Kontrollkommission keine entsprechenden Eingaben eingegangen. Eingaben von Bürgern an den Landtag über ein sie betreffendes Verhalten des Amts für Verfassungsschutz sollen der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Kenntnis gegeben werden, soweit sie von grundsätzlicher Bedeutung
sind. Im Berichtszeitraum wurden der Parlamentarischen Kontrollkommission ebenso keine entsprechenden Eingaben zur Kenntnis gegeben. Es sei aber an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt, dass die Parlamentarische Kontrollkommission es als eigene Aufgabe ansieht, Fragen von Bürgerinnen und Bürgern auch im Einzelfall aufzuklären und zu bedenken, soweit dies bei Wahrung aller Belange auch möglich ist.
Die Einholung von besonderen Auskünften durch das Amt für Verfassungsschutz unterliegt gemäß § 8 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission und die G10-Kommission. Der G10-Kommission kommt dabei die Aufgabe zu, als unabhängiges und an keine Weisung gebundenes Organ in einem gerichtsähnlichen Verfahren über die Zulässigkeit und Notwendigkeit jedes einzelnen besonderen Auskunftsverlangens durch das Amt für Verfassungsschutz zu entscheiden. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist gemäß § 8 Abs. 6 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes im Abstand von höchstens sechs Monaten vom Ministerium für Inneres und Kommunales über diese Anordnung zu unterrichten. Hierbei handelt es sich um Auskünfte bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen, bei Anbietern von Telekommunikationsdiensten und Telediensten. Bei Luftfahrtunternehmen beziehen sich die Auskünfte beispielsweise auf die Namen und Anschriften der Kunden sowie auf den Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, bei Kreditinstituten beispielsweise auf die Konten, die Konteninhaber, zum Kontenstand und zu den Zahlungsein- und -ausgängen. Dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Gleiches gilt beim Einsatz sogenannter IMSI-Catcher, mit denen die Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts und die Ermittlung des Geräts und der Kartennummer möglich sind. Die Unterrichtung erfolgt mittels schriftlichen Berichts und ergänzenden mündlichen Vortrags jeweils halbjährlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Parlamentarische Kontrollkommission ist darüber hinaus nach § 18 Abs. 3 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes um Zustimmung zu ersuchen, wenn auch sechs Monate nach Beendigung des Einsatzes eines nachrichtendienstlichen Mittels nach § 10 Abs. 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes die Benachrichtigung von Betroffenen bzw. erheblich Mitbetroffenen weiter zurückgestellt werden soll. Die Entscheidung der Parlamentarischen Kontrollkommission ist jeweils nach einem Jahr erneut
einzuholen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann mit Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission die Benachrichtigung auf Dauer unterbleiben.
Zu diesen nachrichtendienstlichen Mitteln zählen der Einsatz von Vertrauensleuten und geheimen Informanten, längerfristige Observationen, Bildaufzeichnungen, das Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel und der Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers. Die monatlich vorgelegten Berichte über vorläufige Zurückstellungen von Benachrichtigungen waren in Einzelfällen in ihrem Begründungsteil ergänzungsbedürftig, da die Begründungen aus Sicht der Parlamentarischen Kontrollkommission für eine Zurückstellung noch nicht ausreichten bzw. in sich nicht schlüssig waren. Mündliche Ergänzungen führten in diesen Fällen zur Vervollständigung der Zurückstellungsgründe.
Auch unterrichtete die Landesregierung über bestimmte Vorgänge aus dem Bereich des Verfassungsschutzes. Hierzu zählten insbesondere Art, Anzahl und Dauer des Einsatzes bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel in den beobachteten extremistischen Phänomenbereichen und Personenzusammenschlüssen, die Festlegung der zu beobachtenden Personenzusammenschlüsse, die Herstellung des Einvernehmens für das Tätigkeitwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder in Thüringen sowie in allgemeiner Form über die Herstellung des Benehmens für das Tätigwerden des Bundesamts für Verfassungsschutz in Thüringen oder auch Regelungen über die Vergütung von Vertrauensleuten. Diese Unterrichtung findet in der Regel halbjährlich schriftlich und in einer Kommissionssitzung mündlich statt.
Schließlich unterrichtete die Landesregierung die Parlamentarische Kontrollkommission über den Inhalt der Dienstanweisungen des Amts für Verfassungsschutz und jede Änderung vor deren Erlass, die Dienstanweisung zum Einsatz von Vertrauensleuten. Jede Änderung bedarf darüber hinaus vor ihrem Erlass der Anhörung durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Im Berichtszeitraum wurden der Parlamentarischen Kontrollkommission die Dienstvorschrift Auswertung, die Dienstvorschrift für die Sicherheit im Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales sowie die Dienstvorschrift zur Bearbeitung von Gefährdungssachverhalten und besonderen Lagen im Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales vorgelegt, welche zur Kenntnis genommen und in der Folge in Kraft gesetzt wurden. Seitens des Amts für Verfassungsschutz besteht in diesem Zusammenhang
das Angebot an die Parlamentarische Kontrollkommission, eine entsprechende Übung zu diversen Lagen vor Ort zu begleiten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Berichtszeitraum von Oktober 2020 bis September 2022 hatte sich die Parlamentarische Kontrollkommission mit zahlreichen Beratungsgegenständen befasst, sich von der Landesregierung und vom Amt für Verfassungsschutz unterrichten sowie zu verschiedenen Einzelfallfragestellungen berichten lassen. Die Coronapandemie bestimmte auch erheblich des Informationsgeschehen. Gerade die verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staats im Rahmen der Coronaprotestbewegung entwickelte sich im Berichtszeitraum zu einem neuen Phänomenbereich, der auch weiter an Bedeutung gewinnt.
Lassen Sie mich zunächst auf den Bereich „Rechtsextremismus“ eingehen. Dieser hat die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission wie bereits in früheren Berichtszeiträumen maßgeblich geprägt. Dabei waren zunächst die Informationen zu den Entwicklungen der Parteien wie die NPD, „Der III. Weg“, die Partei „Die Rechte“ oder auch die „Neue Stärke Partei“ regelmäßig Berichtsgegenstand. Im Berichtszeitraum kam es in verschiedenen Szeneobjekten in Thüringen zu Bränden, die zum Teil gesichert als Anschläge einzuordnen sind; benannt seien hier das Barackengelände in Ronneburg, die Vereinsräume der Barbaria Sportgemeinschaft in Schmölln, das Objekt Guthmannshausen oder auch das Waldhaus in Sonneberg.
Der „Neue Stärke e. V.“, ein rechtsextremistischer Kleinverein, musste im Berichtszeitraum sein Klubhaus in der Stielerstraße in Erfurt räumen und hat einen neuen Versammlungsraum bezogen. Bezugspunkte des Vereins zu Mixed Martial Arts und Kampfsportveranstaltungen können nicht ausgeschlossen werden, ebenso nicht Kennverhältnisse zum sogenannten Jungsturm, zu „Knockout 51“. Nach einer anfänglichen Zusammenarbeit der Partei „Der III. Weg“ haben sich die Wege nach Streitigkeiten getrennt. Verlautbarungen zufolge existieren mit „Neue Stärke Gera“ seit dem 1. Mai 2021, mit „Neue Stärke Saalfeld-Rudolstadt“ seit dem 10. Januar 2022 und mit „Neue Stärke Sömmerda“ seit dem 22. April 2022 neben der „Neuen Stärke Erfurt“ insgesamt vier Ableger der Gruppierung, die in Thüringen ihren Ursprung hat. Der Verein hat im Berichtszeitraum Versammlungen und verschiedene öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durchgeführt, so zum sogenannten Heldengedenken oder zum sogenannten Arbeiterkampftag. Zwischenzeitlich hat sich im Mai letzten Jahres eine „Neue Stärke Partei“ in Erfurt gegründet, ein
sogenannter 1. Bundesparteitag fand im November 2021 in Magdeburg statt. Auch die Partei führte mehrere Veranstaltungen in Erfurt und Gera durch.
Die rechtsextremistische Szene ist international vernetzt. So werden beispielsweise für das Bataillon Asow in der Ostukraine Kämpfer aus der rechtsextremistischen Szene und der Hooliganszene rekrutiert. Im Rahmen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist davon auszugehen, dass auf beiden Seiten deutsche Rechtsextremisten an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Die Gemengelage macht es zunehmend schwieriger, eine sachliche Bewertung vorzunehmen, wenn auf der einen Seite durch ukrainische Truppen der völkerrechtswidrige Angriff Russlands abgewehrt wird, dies aber andererseits auch durch Einheiten wie das Bataillon Asow erfolgt, das dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen ist.
In den einschlägigen Szenelokalen fanden immer wieder Liederabende statt, insbesondere in Eisenach im „Bull’s Eye“ und im „Flieder Volkshaus“. Größere Veranstaltungen und eigenständige Demonstrationen gab es aufgrund der Coronapandemie im Berichtszeitraum zunächst nicht. Gerade die fehlenden Einnahmen aus größeren Konzertveranstaltungen stellen sich für die Szene als ein zunehmendes Problem dar, aktuell ist jedoch zu beobachten, dass diese Einnahmequellen wieder erschlossen werden sollen.
Nicht zuletzt die bundesweite Durchsuchungsaktion unter Leitung der Bundesanwaltschaft am 6. April 2022 in elf Bundesländern mit 50 Beschuldigten und 61 Objekten mit dem örtlichen Schwerpunkt Thüringen/Eisenach weist auf die besondere und wachsende Gefährlichkeit der Szene hin. Im Fokus stand in Eisenach die Szenekneipe „Bull’s Eye“ sowie das „Flieder Volkshaus“ mit dem Sitz der NPD. Drei der vier verhafteten Personen stammen aus Thüringen und gehören zu den Führungsfiguren der rechtsextremistischen Szene. Sie stehen im Verdacht der Mitgliedschaft in der von Eisenach aus agierenden Gruppierung „Knockout 51“, einer rechtsextremistischen Kampfsportgruppe, der gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch sowie tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen werden. Die Trainings fanden regelmäßig in den Räumlichkeiten der NPD-Landesgeschäftsstelle, dem „Flieder Volkshaus“, statt.
In Eisenach versuchten die Mitglieder von „Knockout 51“, einen sogenannten Nazi-Kiez zu schaffen und sich dort als bestimmende Ordnungsmacht zu etablieren. Zudem richtete sich ein Ermittlungsverfahren gegen 21 Beschuldigte, die im Verdacht stehen, trotz Verbots der rechtsextremistischen Vereinigung „Combat 18 Deutschland“ deren organisa
torischen Zusammenhalt im Geheimen als Rädelsführer aufrechterhalten zu haben oder Mitglieder oder Unterstützer der verbotenen Vereinigung gewesen zu sein. Darüber hinaus werden Ermittlungen gegen insgesamt zehn Beschuldigte geführt, gegen die der Verdacht der Mitgliedschaft, der versuchten Mitgliedschaft oder der Unterstützung der terroristischen Vereinigung „Atomwaffen Division Deutschland“ besteht.
Bei der SKD 1418 handelt es sich um eine von Deutschland aus im Internet agierende Chatgruppe, deren Ziel es war, Anhänger für terroristische Anschläge zur Zerstörung bestehender demokratischer Systeme und der Ersetzung durch ein neofaschistisches System zu gewinnen. Das betreffende Ermittlungsverfahren richtet sich gegen fünf Beschuldigte wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Kritisch anzumerken ist, dass die örtlichen Polizeidienststellen und das LKA seitens der Bundesanwaltschaft erst relativ kurz vor Beginn der Exekutivmaßnahmen – aus Sicht der Kommission zu spät – informiert wurden. Das Amt für Verfassungsschutz hat ebenfalls Informationen zugeliefert, wurde jedoch über die Maßnahmen selbst nicht informiert. Die Landesregierung ist gebeten worden, die Parlamentarische Kontrollkommission über den Fortgang der repressiven Maßnahmen auf dem Laufenden zu halten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Februar 2021 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Alternative für Deutschland auf der Grundlage eines rund 1.000 Seiten starken Gutachtens als sogenannten Verdachtsfall eingestuft. Hiergegen sowie gegen die benannte und von der Partei bestrittene Mitgliederzahl des sogenannten Flügels in der Gesamtpartei ging die Alternative für Deutschland vor dem Verwaltungsgericht Köln rechtlich vor. Ausschlaggebend für die Verdachtsfalleinstufung waren der dominierende Einfluss des „Flügels“ sowie Anhaltspunkte für die Verletzung der Menschenwürde sowie des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips. Zudem sind die Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene gegeben und die Hälfte der Partei ist offen extremistisch aktiv. Der AfD-Landesverband Thüringen ist besonders von dem Gutachten betroffen. Die Ortsverbände waren zum überwiegenden Teil vom „Flügel“ dominiert.
Bereits im März 2020 wurde der „Flügel“ als erwiesen rechtsextremistisch hochgestuft. Mit mehreren Urteilen vom 8. März 2022 entschied das Verwaltungsgericht Köln zu Klagen der Alternative für Deutschland. Danach darf das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei als Verdachtsfall einstufen. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte für ver
fassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD vor. Dies wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Gutachten und den dazugehörigen Materialsammlungen unter Kontextualisierung der als relevant erachteten Aussagen belegt. Es wurde auch festgestellt, dass die Protagonisten des formal aufgelösten „Flügels“ teils weiter maßgeblichen Einfluss innerhalb der Partei ausüben. Ebenso darf der „Flügel“ als Verdachtsfall eingestuft werden, genauso wie die „Junge Alternative“.
Im März 2020 wurde der AfD-Landesverband Thüringen durch das Amt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Hierüber hat das Amt für Verfassungsschutz öffentlich informiert. Bereits im September 2018 informierte der Präsident des Amts für Verfassungsschutz, dass der AfD-Landesverband Thüringen zum sogenannten Prüffall erklärt wurde. Eine Sammlung von Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen war seither möglich. Eine entsprechende Klage der AfD gegen die Äußerung hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht Weimar urteilte im Juli des vergangenen Jahres, dass die öffentliche Äußerung in das Recht der AfD, als politische Partei gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen, eingegriffen hat. Sie sei geeignet gewesen, die Mitwirkung der Partei an der politischen Willensbildung des Volkes und ihre Chancengleichheit im Wettbewerb der Parteien negativ zu beeinflussen.
Im März 2021 erfolgte dann die Höherstufung des Landesverbands als „erwiesen rechtsextrem“, mit der Folge, dass eine Beobachtung nunmehr auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln möglich ist. Der Parlamentarischen Kontrollkommission wurde das 400 Seiten starke Gutachten vorgelegt. Die Kommission hat zur Alternative für Deutschland und ihrer Einstufung in mehreren Sitzungen intensiv beraten und trägt im Ergebnis die Entscheidung des Amts für Verfassungsschutz vollumfänglich mit.
Die AfD Thüringen verfügt auch über nachgewiesene direkte Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationsformen. Die Menschenrechte, das Demokratieprinzip und die rechtsstaatliche Verfasstheit unseres Landes werden auch durch eigene Inhalte angegriffen. Anderweitige Gegenströmungen im Landesverband sind seit geraumer Zeit kaum noch wahrnehmbar, sodass die Beurteilung für den gesamten Landesverband der AfD gilt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, während der Coronapandemie hat sich die Neukategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ herausgebildet, die auch im Berichtszeitraum Gegenstand der Berichterstattungen in der Parlamentarischen Kontrollkommission war. Ich hatte es bereits angedeutet. Die Vorgänge in die
ser Kategorie, welche zwischenzeitlich im gesamten Verfassungsschutzverbund Gegenstand der Beobachtungen sind, können nicht den klassischen Phänomenbereichen zugeordnet werden bzw. passen nach Einschätzung des Amts für Verfassungsschutz nicht in den Phänomenbereich „Rechtsextremismus“, auch wenn Verbindungen zu „Reichsbürgern“ und Selbstverwalterorganisationen sowie Rechtsextremen in Kauf genommen oder gesucht werden.
In der Öffentlichkeit bekannt wurden insbesondere auch die sogenannte Querdenkerbewegung und Coronaleugner. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat formal im April 2021 das Sammelbeobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ gebildet. In Thüringen wird derzeit von 8.000 bis 10.000 Personen ausgegangen, die Verbindungen zu dem Phänomenbereich und dessen Ansichten haben. Zum Teil äußern sie Verschwörungsfantasien und staatsdelegitimierende Ideen und rechtsideologische Ansatzpunkte. Gerade in sozialen Netzwerken haben Hass und Hetze bzw. Aktivitäten von Verschwörungstheoretikern und „Querdenkern“ nach wie vor Hochkonjunktur.
Im Winter und Frühjahr 2022 kam es deutschlandweit zu einem intensiven Demonstrationsgeschehen, gerade auch in Thüringen, mit breitflächiger Verteilung. Sowohl angemeldete als auch unangemeldete Versammlungen gegen die geltenden Coronahygieneregeln waren zu verzeichnen. Es war nicht immer erkennbar, welche Personen maßgeblich Regie führten. Zunehmend traten aber Personen aus dem rechtsextremen Bereich als Hauptprotagonisten in Erscheinung. Dabei war eine zunehmende Entgrenzung festzustellen. Bürgerliche Teile grenzen sich nicht mehr erkennbar von dem extremistischen Protestpotenzial ab. Dies ist umso bedenklicher, sind die Sorgen und Fragen vieler in Anbetracht der weitreichenden staatlichen Maßnahmen durchaus verständlich, berechtigt und auch nachvollziehbar. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch deutlich machen, dass klar zu trennen ist zwischen besorgten Bürgern und denjenigen, die die Versammlungen nutzen, um ihre Verschwörungsfantasien und staatsdeligitimierenden Ideen unter das Volk zu bringen.
Die Szene radikalisiert sich weiter. Eine lautstarke, gewalttätige Minderheit steht einer scheinbar schweigenden Mehrheit gegenüber. Die Lage ist zunehmend angespannt, unübersichtlich und gefährlich. Viele Demonstrationsteilnehmer sind für Diskussionen nicht mehr zugänglich. Extremistische Parteien versuchen, ihren Einfluss im Zuge der Ereignisse weiter zu stärken. Geschichtsrevi
sionismus und Antisemitismus traten bei diesen Veranstaltungen immer offener zutage, zweifelsfrei staatszersetzende, staatsverachtende Äußerungen wurden kommuniziert.
Die „Neue Rechte“, die NPD, „Der III. Weg“ oder auch die Partei „Die Rechte“, zunächst als Trittbrettfahrer aktiv, versuchten im Laufe der Geschehnisse, Demonstrationen zu dominieren, um anschlussfähig zu werden. So sollen Brücken in die Mitte der Gesellschaft geschlagen werden, um mehr Zuspruch bei der Bekämpfung der Demokratie zu erhalten.
Aktivitäten entfalten sich sowohl im analogen als auch im digitalen Raum. Dabei dienen beispielsweise Telegramkanäle als Verbreitungsplattform. Diese sozialen Medien können als sogenannte Echokammern beschrieben werden. Hinzu kommt, dass auch die Hemmschwelle für die Anwendung physischer Gewalt immer weiter sinkt. Polizisten und Medienvertreter sind neben verbalen zunehmend auch körperlichen Angriffen ausgesetzt.
Die benannte „Reichsbürger-Szene“ hat dabei nichts von ihrer Gefährlichkeit verloren, die sich selbst als „Reichsbürger“ bezeichnenden Personen treten immer unverhohlener mit ihren kruden Theorien auf und schrecken auch vor der Androhung und Anwendung von Gewalt nicht zurück. Sie unterwandern das Versammlungsgeschehen und versuchen, legitimen Protest für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Daher ist es umso wichtiger, diesem Personenkreis den Umgang mit Waffen zu verbieten und bereits im Besitz befindliche Waffen einzuziehen. Die Parlamentarische Kontrollkommission unterstützt Minister Maier ausdrücklich bei diesen Bemühungen.